Nirgendwo sonst ist die Luft so schlecht wie an einer Straße in Mitte. Dort ist der Gehalt von Feinstaub und Stickoxiden besonders hoch.

Eigentlich sieht es am Leipziger Platz in Mitte recht beschaulich aus. Jedenfalls, wenn die Sonne scheint und die Bäume ihre Schatten auf die Grünflächen werfen, die rechts und links der Straße angelegt sind. Es ist Sommer und viele Menschen nutzen diese Schattenplätze für ein Lunch to go, oder um eine kleine Erholungspause während des Shoppens einzulegen.

Aber diese Beschaulichkeit trügt. Denn auch wenn von unten Gras und Gänseblümchen sprießen, ist das, was darüber liegt, weniger erbaulich. Denn die Leipziger Straße ist der Ort in Berlin mit der schlechtesten Luft. Ein kleiner Messapparat, an einer Laterne vor der Hausnummer 32 angebracht, erfasst die Ruß- und Stickstoffdioxidwerte an dieser Stelle, und die Rußwerte geben auch Aufschluss über den Gehalt am sogenanntenPM10-Feinstaub

HIER: Der interaktive Feinstaub-Monitor der Berliner Morgenpost.

Mit 69 Mikrogramm pro Kubikmeter lag der Gehalt an Stickstoffdioxiden an der Leipziger Straße 2014 im Durchschnitt so hoch wie nirgendwo sonst im Berliner Stadtgebiet. Und auch die Feinstaubbelastung zeigt mit 35 Mikrogramm einen Spitzenwert. Im vergangenen Jahr wurde dieser Wert nur noch übertroffen vom Messergebnis von 37 Mikrogramm am Spandauer Damm auf Höhe der Auffahrt auf die A100.

Fast immer dichter Verkehr

Rainer Nothard, der bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt für die Luftmess-Stationen in Berlin zuständig ist, sieht darin aber eher einen Ausnahmewert, der möglicherweise mit temporären Baustellen und daraus resultierenden stärkeren Staubildungen zu begründen ist. In den Jahren zuvor jedenfalls verzeichnete diese Messstation in Charlottenburg keine Spitzenwerte, und sie ist auch kein typischer Ort für hohe Feinstaubwerte.

Und HIER ist die die Berliner Luft am besten.

Meist sind die an Straßen anzutreffen, die durch Häuserschluchten verlaufen, in denen die Gebäude rechts und links der Straße mindestens vier Stockwerke hoch sind. So wie eben an der Leipziger Straße, eine der wichtigsten Ost-West-Verkehrsverbindungen der Stadt. Hinter der Charlottenstraße verengt sie sich Richtung Potsdamer Platz überdies von sechs auf vier Spuren. Dadurch herrscht hier fast immer dichter Verkehr.

Weitgehend baumfreie Zone

Zu den vielen Autos kommen außerdem zwei Buslinien. Und auch Lastwagen brettern hier durch – wenn sie denn brettern können. Oft genug geht es nur im Stop-and-go-Rhythmus voran oder es herrscht Stau. Zusätzlich werden die Bauarbeiten für die Mall of Berlin für schlechte Luft gesorgt haben – und für ein höheres Verkehrsaufkommen, das auch nach der Eröffnung des Shopping-Centers im September 2014 anhielt.

Einen Ausgleich zur schlechten Luft gibt es kaum. Die Leipziger Straße ist weitgehend baumfreie Zone. Nur zwischen Mauer- und Wilhelmstraße und dann noch mal am Leipziger Platz stehen ein paar Bäume. Ansonsten reichen die Bürgersteige direkt an die Straße heran und laden nicht gerade zum Flanieren ein. Die meisten Menschen haben es wohl auch deshalb eilig.

Verschmutzung an anderen Straßen

Für Stephie gehört die Leipziger Straße zu ihrem täglichen Arbeitsweg. Jeden Tag fährt die 34-Jährige mit der S-Bahn von Lichterfelde an den Potsdamer Platz und dann geht es weiter zu Fuß zu ihrem Büro, das direkt an der Leipziger Straße liegt. Dass dies der Ort mit der schlechtesten Luft ist, hat sie zwar nicht gewusst, „aber es verwundert mich auch nicht, bei all den vielen Autos, die hier unterwegs sind“.

Andere Passanten schütteln hingegen den Kopf: „Nein, kann doch nicht sein, sonst ist es doch immer in Neukölln am schlimmsten“, sagt einer. Tatsächlich tauchen die Silbersteinstraße und die Karl-Marx-Straße immer weit oben in der Rangliste der Orte mit der größten Luftverschmutzung auf.

Die beiden Straßen gehören zu den Top Ten, genauso wie die Schildhornstraße in Steglitz, die Frankfurter Allee in Friedrichshain – und was Stickoxide anbelangt auch der Hardenbergplatz in Charlottenburg. An diesen Orten stehen automatische Messstationen, die ständig Werte übermitteln, und darum sind diese Stationen auch stärker im Fokus.

Immer ein paar Grad wärmer als anderswo

Zu diesen insgesamt 16 Stationen des sogenannten Berliner Luftgüte-Messnetzes („Blume“) kommen aber noch 23 kleinere sogenannte Rubis-Messstationen, deren Proben nur alle 14 Tage im Labor ausgewertet werden. An diesen Geräten lassen sich keine Überschreitungen von Stundenmittelwerten feststellen, aber Tagesmittelwerte abschätzen. So geht Nothard davon aus, dass es an der Leipziger Straße zu Grenzüberschreitungen kommt, auch wenn die nicht tagesaktuell erfasst werden.

Für die Grafikdesignerin Claudia ist das keine gute Nachricht. Denn auch ihr Arbeitsweg führt täglich über die Leipziger Straße – vom Potsdamer Platz bis zum Hausvogteiplatz. Der Fußweg zum Feierabend tut ihr zwar gut nach dem langen Sitzen im Büro, aber dass sie dabei auch immer schlechte Luft einatmet, gefällt ihr natürlich nicht.

Aufgefallen ist ihr allerdings, „dass es hier immer ein paar Grad wärmer ist als anderswo“. Gerade an heißen Sommertagen ballt sich die Hitze in der Häuserschlucht, dann ist sie froh, wenn sie wieder auf dem Nachhauseweg in der S-Bahn sitzt. „Da ist die Luft auf jeden Fall besser“, ist sie überzeugt. Und da sei auch nicht so ein Lärm wie hier im dichten Autoverkehr, der sich durch die Enge noch verstärkt.

Touristen sind ahnungslos

Die meisten Menschen ahnen hier gar nicht, in welchem Umfeld sie sich bewegen. Vor allem Touristen schauen ungläubig, wenn man ihnen sagt, dass es hier Berlins dreckigste Luft gibt.

Marek muss lachen, als er das hört. Der Student kommt aus Polen und sagt: „Im Vergleich zu Warschau kann das doch in Berlin gar nicht so schlimm sein.“ Vielleicht hat er recht. Ein Vergleich sei schwer, sagt Nothard, weil jedes Land seine eigenen Richtlinien habe.

Marek jedenfalls bleibt unverzagt auf dem Grün am Leipziger Platz sitzen und kaut an einem Sandwich – nur wenige Meter von Berlins dreckigster Straße entfernt.

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