In der Hamburger CDU war in dieser Woche mal wieder „Verantwortung übernehmen“ angesagt. Wirkt ein personeller Schnitt immer befreiend?

Zum kleinen Einmaleins der Politik gehört die Regel, dass nach derben Wahlniederlagen jemand „Verantwortung übernehmen“ muss. Das ist die freundlich-verbrämte Umschreibung für die Erwartung, dass gefälligst Köpfe rollen. Dahinter steckt die Erwartung, dass ein personeller Schnitt befreiend wirkt, etwas Zeit zum Durchschnaufen und Neuaufstellen verschafft. Letztlich ist es wie mit den Trainerwechseln im Fußball: Manchmal haben sie den gewünschten Effekt, manchmal nicht.

Auch in der Hamburger CDU war in dieser Woche mal wieder „Verantwortung übernehmen“ angesagt. Nachdem die Partei bei der Bürgerschaftswahl am Sonntag von einem historischen Tiefststand – 21,9 Prozent im Jahr 2011 – auf einen noch tieferen Tiefststand von 15,9 Prozent abgestürzt war, gab es die verbreitete Erwartung der Mitglieder, dass sowohl Fraktionschef und Spitzenkandidat Dietrich Wersich als auch Parteichef Marcus Weinberg ihre Posten aufgeben. Während Weinberg die Signale etwas schneller erkannte und am Mittwoch seinen Rückzug bekannt gab, dauerte es bei Wersich bis zum Parteitag am Donnerstagabend. Nachdem er sich bis dahin auf die Formel zurückgezogen hatte, er erhebe „keine Ansprüche“ mehr auf irgendwelche Posten – was die Hintertür offen ließ, doch wieder Fraktionschef zu werden, falls man ihn nur bittet –, rang er sich dann doch zusätzlich zu den Worten durch, er wäre „froh“, wenn ein anderer als Fraktionschef den Karren ziehen würde.

Diese vier Tage Unklarheit über die Zukunft des Spitzenpersonals genügten jedoch bereits, um die Diskussionen innerhalb und außerhalb der Partei anzuheizen. Gerüchte machten die Runde, von Intrigen war die Rede und sogar eine Dolchstoßlegende wurde bemüht, als gelte es in kürzester Zeit die alte politische Steigerungsformel zu beweisen: Feind, Todfeind, Parteifreund. Die Fronten laufen dabei quer durch Orts- und Kreisverbände, entzweien bisherige Weggefährten und vermeintliche Brüder im Geiste. Unterm Strich gibt es daher zwei Versionen darüber, was da in den vergangenen Tagen abgelaufen ist.

Gab es ein Komplott gegen Wersich? Oder eine Intrige gegen seine Gegner?

Eine geht so: Schon drei Wochen vor der Wahl – zu dem Zeitpunkt lag die CDU in Umfragen noch oberhalb von 20Prozent – baldowerten Parteichef Weinberg und Fraktions-Vize Roland Heintze aus, welche Konsequenzen das absehbar schlechte Wahlergebnis haben könnte: Demnach sollte vor allem Spitzenkandidat Wersich die Verantwortung für die Schlappe übernehmen und auf den Fraktionsvorsitz verzichten. Sein Amt hätte dann sein Stellvertreter Heintze übernommen. Der Finanzexperte gilt als fachlich versiert, fleißig und angriffslustig und verfügt über großen Rückhalt in der Partei. Weinberg und Heintze, so heißt es, berieten sich sogar mit Parteifreunden über dieses Vorgehen. Dabei stießen sie zwar auch auf Ablehnung, sammelten aber zunächst weiter ihre Truppen. Am Wahlabend gifteten daher erste Christdemokraten über die „Sauerei“, die da im Hintergrund laufe.

Als am Montagabend dann feststand, dass sogar der gut platzierte Heintze den Einzug in die Bürgerschaft verpasste hatte, wurde die Strategie angepasst: Wersich sollte ganz auf sein Mandat verzichten, dann würde Heintze nachrücken und könnte ihn beerben. Diesen Triumph wollte der Noch-Fraktionschef seinen Gegenspielern jedoch nicht gönnen und betonte die ganze Woche über, dass er sein Mandat auf jeden Fall annehmen werde. Auf dem Parteitag sprang der scheidende Abgeordnete Andreas Wankum Wersich zur Seite und schimpfte über die Intriganten, „die seit 14 Tagen die Messer gewetzt haben“. Ohne Namen zu nennen, mahnte er: „Die Menschen lieben den Verrat, aber nicht die Verräter.“

Klingt wunderbar, diese Geschichte. Aber es gibt prominente CDU-Mitglieder, die sie als „Quatsch“ bezeichnen und eine andere Version erzählen: Demnach haben viele erfahrene Christdemokraten Weinberg in den Wochen vor der Wahl auf die Stimmung in der Partei hingewiesen, wonach man Wersich ein Ergebnis von unter 20 Prozent nicht durchgehen lassen würde. Eine Woche vor der Wahl, jetzt lag die CDU in Umfragen nur noch bei 18 bis 19 Prozent, sprach Weinberg Wersich darauf an, schilderte ihm die Stimmung und fragte, wo denn seine Schmerzgrenze sei. Doch der Spitzenkandidat eierte rum und gab zu verstehen, das er sich damit jetzt nicht beschäftigen wolle. Zwei Tage vor der Wahl fragte Weinberg noch einmal nach. Die Entscheidung liege allein bei Wersich, aber auf irgendeine Sprachregelung für den Wahlabend müsse man sich ja einigen. Nun gab Wersich zu verstehen: Wenn eine 2 vorn stehe, mache er auf jeden Fall weiter, bei 19 oder weniger Prozent müsse man mal abwarten. Also wieder Geeier.

Als dann am Sonntagabend erst 16 und später sogar 15,9 Prozent für die CDU ausgewiesen wurden, „ist genau das eingetreten, was ich befürchtet habe“, sagt ein altgedienter Christdemokrat. Auf die Frage nach den personellen Konsequenzen gab es keine Antwort, die Spekulationen schossen ins Kraut, und Roland Heintze wurde als Wersich-Nachfolger ins Spiel bracht. Dass der es gar nicht ins Parlament schaffte, dass er als selbstständiger PR-Unternehmer gar keine Zeit für den Vollzeitjob Fraktionschef hat, wie in seinem Umfeld betont wird – egal. Schließlich lenkte die Legende vom Königsmörder etwas von der Verantwortung des Spitzenkandidaten ab. Retten konnte den das allerdings auch nicht. So weit die zweite Version der Geschichte.

Was stimmt nun? Um das zu erfahren, müsste man vermutlich die halbe Hamburger CDU unter Eid vernehmen. Festzuhalten bleibt aber, dass die Lust der Christdemokraten an innerparteilichen Ränkespielchen ungebrochen ist – auch ein Grund, warum Bewerber um Spitzenpositionen nicht gerade Schlange stehen. Immerhin wirft am Wochenende mit dem Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse ein erster Bewerber um die Weinberg-Nachfolge seinen Hut in den Ring. Ein Parteifreund prophezeit bereits: „Für den neuen Landesvorsitzenden wird das eine Tortur.“