Die ukrainische Opposition hat einer Einigung mit der Regierung über eine Krisenlösung unterzeichnet. Janukowitschs Macht wird beschränkt. Außenminister Steinmeier traf sich mit den Regierungsgegnern.

Kiew. Das ukrainische Parlament hat mit breiter Mehrheit für eine Rückkehr zur Verfassung von 2004 gestimmt und damit für eine Beschneidung der Vollmachten des Präsidenten. Das teilte die Oberste Rada am Freitag mit. Damit setzten die Abgeordneten nur etwas mehr als eine Stunde nach der Einigung über eine Krisenlösung im Land den ersten Punkt eines Mehrstufenplans um. Präsident Viktor Janukowitsch muss das Gesetz noch unterschreiben, damit es in Kraft tritt.

Für die Verfassungsänderung stimmten 386 von 397 anwesenden Abgeordneten. Es gab keine Gegenstimmen. Gemäß des auch von der EU mit ausgehandelten Lösungsplans soll in einem nächsten Schritt bis September eine Verfassungsreform erarbeitet werden. Die Stärkung von Regierung und Parlament auf Kosten des Staatschefs war stets eine Kernforderung der Opposition gewesen.

Auch 140 Mitglieder der regierenden Partei der Regionen stimmten für die Änderung. Die Parlamentarier votierten ebenfalls eindeutig für eine Freilassung aller, die bei den gewaltsamen Protesten der vergangenen Tage festgenommen worden waren. Bei Straßenkämpfen zwischen Sicherheitskräften und Regierungsgegnern waren seit Dienstag mindestens 77 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden.

Direkt danach stimmte das ukrainische Parlament für die Absetzung des umstrittenen Innenministers Witali Sachartschenko. Die Opposition macht den 51-Jährigen für brutale Einsätze der Polizei gegen friedliche Demonstranten in Kiew verantwortlich. Dazu zählt auch der Einsatz von Schusswaffen gegen Regierungsgegner in den vergangenen Tagen. Sachartschenko war im November 2011 ernannt worden. Seit dem Rücktritt von Ministerpräsident Nikolai Asarow Ende Januar war er – wie das gesamte Kabinett – nur noch geschäftsführend im Amt. In Kiew verbreiteten sich Gerüchte, dass der Politiker ins benachbarte Weißrussland geflohen sei.

Zuvor hatten sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und sein polnischer Kollege Radoslaw Sikorski am Freitagmittag erneut mit Regierungsgegnern getroffen. „Wir wollen uns nicht zu früh freuen“, sagte der Minister am Freitagabend nach seiner Rückkehr aus der Ukraine am Rande des Matthiae-Mahls in Hamburg. Es sei eine Rahmenvereinbarung getroffen worden, die jetzt durch die Politik ausgefüllt werden müsse. Steinmeier sagte, er sei jedoch zufrieden, „dass offenbar auch die Führung in der Ukraine erkannt hat, dass die weitere Eskalation der Gewalt (...) keine Lösung für das Land ist“.

Der ukrainische Staatschef Viktor Janukowitsch hatte am Vormittag vorgezogene Präsidentenwahlen, eine Rückkehr zu einer parlamentarischen Demokratie sowie eine Übergangsregierung angekündigt. Diese Eckpunkte hatten EU-Delegationskreise zuvor bestätigt.

Vorgesehen seien ein neues „Kabinett des nationalen Vertrauens“ innerhalb von zehn Tagen, eine Rückkehr zu einer parlamentarischen Demokratie sowie eine baldige Abstimmung über den Staatschef, hatte Janukowitsch mitteilen lassen. Eine EU-Delegation um Steinmeier sowie ein russischer Vermittler hatten zuvor stundenlang in Kiew mit Janukowitsch und Oppositionsführern verhandelt.

Regierungsgegner auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew betonten zuvor, die von Janukowitsch angekündigten Beschlüsse seien keinesfalls ausreichend. Janukowitsch müsse sofort zurücktreten und vor Gericht gestellt werden, forderten viele. Bei schweren Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften in der ukrainischen Hauptstadt waren in den vergangenen Tagen mindestens 77 Menschen getötet worden.

Der russische Ukraine-Vermittler Wladimir Lukin hat sich der Agentur Interfax zufolge geweigert, das Abkommen zur Lösung der Krise in Kiew zu unterzeichnen. Das meldete die russische Agentur am Freitag unter Berufung auf informierte Kreise.

Parlament macht Weg für Timoschenkos Freilassung frei

Das ukrainische Parlament hat außerdem die Weichen für eine Freilassung der seit knapp zweieinhalb Jahren inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko gestellt. Die Oberste Rada in Kiew stimmte am Freitag mit großer Mehrheit für ein Gesetz, das die Vorwürfe gegen die Ex-Regierungschefin nicht mehr als Straftaten wertet.

Das Fernsehen übertrug die Entscheidung live. Präsident Viktor Janukowitsch muss das Gesetz noch unterzeichnen, damit es in Kraft tritt.

Die Politikerin sitzt seit August 2011 in Haft. Sie war im Oktober 2011 in einem international umstrittenen Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Die Anführerin der demokratischen Orangenen Revolution von 2004 weist die Vorwürfe bis heute als politisch motiviert zurück. Ihr Erzfeind Janukowitsch wolle sie politisch ausschalten. Timoschenko hatte bei der Präsidentenwahl im Februar 2010 die Stichwahl gegen Janukowitsch verloren.

Die 53-Jährige wird seit etwa anderthalb Jahren in einem Krankenhaus in der Stadt Charkow unter anderem wegen der Folgen eines Rückenleidens auch von deutschen Ärzten behandelt.

Schriftsteller Wladimir Kaminer sieht Hoffnung und eine „Ohrfeige für Russland“

Intellektuelle schöpfen durch die Annäherung neue Hoffnung. "Hoffentlich hört es jetzt in der Ukraine auf, dass Uniformierte auf ihr Landsleute schießen", sagte der russische Schriftsteller Wladimir Kaminer am Freitagabend auf einer Veranstaltung im Restaurant „Stock's“ in Poppenbüttel gegenüber dem Abendblatt. Kaminer lebt seit langem in Berlin, verfolgt aber die Ereignisse in der Ukraine sehr intensiv, weil seine Eltern aus dem Land stammen.

"Die Revolution in der Ukraine ist eine Ohrfeige für Russland", sagte Kaminer weiter. "In Kiew haben die Leute den Mut, auf die Straße zu gehen und für ihren Platz in Europa zu streiten. In Russland dagegen fehlt es noch an dieser Courage."