Nach dem Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht hebt der ehemalige Psychiatrie-Patient die Bedeutung der Medien in der Demokratie hervor. SPD fordert Rücktritt von Bayerns Justizministerin Merk.

Nürnberg/Augsburg. Der jahrelang gegen seinen Willen in der Psychiatrie untergebrachte und inzwischen freigelassene Gustl Mollath hat die Bedeutung der Medien in einer Demokratie hervorgehoben. „Wenn alles versagt, dann brauchen wir Medien, die die Versager öffentlich machen und so noch ein letzter Notfallschutz sind“, sagte der 56-Jährige in seiner Heimatstadt Nürnberg.

Dies gelte auch für seinen Fall: Sein einziger Ausweg sei es gewesen, über Medien Öffentlichkeit herzustellen. „Mir war klar, das grenzt an ein Wunder, diese Mauer des Unverständnisses und der Unglaubhaftigkeit zu durchbrechen. Aber diese ganz kleine Chance war die einzige, die ich nutzen konnte.“ Am Donnerstag hatte das Bundesverfassungsgericht mitgeteilt, dass Mollaths Unterbringung in der Psychiatrie seit 2011 verfassungswidrig gewesen war.

Nach dem Erfolg von Karlsruhe hat die SPD erneut den Rücktritt der bayerischen Justizministerin Beat Merk (CSU) gefordert. Sie sei als Ressortchefin nicht tragbar, sagte der SPD-Spitzenkandidat für die bayerische Landtagswahl, Christian Ude, der „Augsburger Allgemeinen“ (Freitag). Ude nannte die Karlsruher Entscheidung eine „schallende Ohrfeige“ für Merk.

Merk wehrt sich gegen Kritik

Die Verfassungsrichter hatten es als Verstoß gegen das Grundgesetz gewertet, dass Mollath in den vergangenen zwei Jahren gegen seinen Willen in der Psychiatrie eingesperrt war. Sie warfen der bayerischen Justiz vor, ihre Entscheidungen nicht gut genug begründet zu haben.

Merk verwahrte sich gegen die Kritik der SPD: „Wenn die Opposition aus den Entscheidungen der Gerichte einen Vorwurf gegen mich herleitet, zeigt sie eine erschreckende Unkenntnis“, sagte die CSU-Politikerin. Es werde der falsche Eindruck erweckt, als hätte sie die Entscheidung der Gerichte auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen und ändern können.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will nun das Unterbringungsrecht ändern - zugunsten der Untergebrachten mit schärferen Vorschriften für die Gerichte. „Wir brauchen ein engmaschiges, an strengere Anforderungen geknüpftes Recht“, sagte sie am Donnerstag in München. Und sie will Mollath treffen, wie sie anschließend dem „Donaukurier“ (Freitag) sagte: „Wenn wir nicht mehr im Wahlkampf sind und die gerichtlichen Verfahren abgeschlossen sind, würde ich aber gerne mal persönlich mit ihm sprechen.“ Sie wolle „einfach mal seine Sicht der Dinge hören“.

Grundrecht auf Freiheit verletzt

Die Karlsruher Richter hatten den bayerischen Kollegen bescheinigt, Mollaths Grundrecht auf Freiheit missachtet zu haben. Sie hätten ihre Entscheidungen nicht gut genug begründet, sondern sich mit knappen, allgemeinen Aussagen begnügt (Az.: 2 BvR 371/12).

Mollath war 2006 per Gerichtsurteil in die Psychiatrie eingewiesen worden, weil er seine Frau misshandelt und Autoreifen zerstochen haben soll. Er selbst sah sich stets als Opfer einer Verschwörung seiner Ex-Frau und der Justiz, weil er auf Schwarzgeldgeschäfte bei der HypoVereinsbank hingewiesen hatte. Dafür hatten sich im Untersuchungsausschuss des Landtags aber keine Belege gefunden.

Anfang August war Mollath zwar entlassen worden, dennoch hielt das Verfassungsgericht die nachträgliche Überprüfung der Entscheidungen für wichtig – „denn diese waren Grundlage eines tiefgreifenden Eingriffs in sein Grundrecht auf Freiheit der Person“.

Mollaths Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg aus dem Jahr 2011, nach denen er weiter in der Psychiatrie bleiben musste. Nach Ansicht der Karlsruher Richter verletzen diese Mollaths Grundrecht auf Freiheit in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. „Die in den Beschlüssen aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers zu rechtfertigen.“

„Große Watschn für die Justiz“

„Das ist eine große Watschn für die bayerische Justiz, zumindest für die tätig gewordenen Richter und Staatsanwälte in meiner Sache - und darüber hinaus für den Gutachtenerstatter“, sagte Mollath nach dem Erfolg von Karlsruhe. Für ihn gehe die Auseinandersetzung dennoch weiter: „Es ist noch nicht einmal die Hälfte vorbei. Es ist jetzt höchstens eine Freiheit der dritten Klasse.“

Die Karlsruher Richter bemängelten unter anderem, dass die Gerichte in Bayreuth und Bamberg nicht konkret genug dargelegt hätten, warum von Mollath auch künftig eine Gefahr ausgehe. Das Landgericht habe sich außerdem nicht damit auseinandergesetzt, dass die Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten von der mündlichen Anhörung deutlich abwichen. Auch habe das Gericht keine eigene Prognose erstellt, sondern dies dem Gutachter überlassen. Außerdem sei Entlastendes zugunsten Mollaths nicht erkennbar berücksichtigt worden. Das Gericht habe schließlich nicht ausreichend geprüft, ob es Alternativen zur Unterbringung in der Psychiatrie gab.

Strate: Argumente sind „sehr harter Tobak“

Mollaths Hamburger Anwalt Gerhard Strate bewertete diese Argumentation als „sehr harten Tobak“. Für die Lebenssituation seines Mandanten habe die Entscheidung zwar keine direkte Auswirkungen. „Aber es ist atmosphärisch bedeutend.“

Rechtsanwalt Michael Kleine-Cosack, der Mollath vor dem Verfassungsgericht vertreten hatte, kritisierte Ministerin Merk und die bayerische Justiz scharf. Die Richter hätten Mollath mit „unverantwortlicher Leichtfertigkeit“ eingewiesen. Merk habe zu lange an den unhaltbaren Entscheidungen festgehalten. „Sie hatte verfassungsblind, inhuman und „hasenherzig“ die neuen Erkenntnisse und Menschenrechtsverstöße der bayerischen Justiz ignoriert.“

Das Oberlandesgericht Bamberg wies den Vorwurf eines fahrlässigen Umgangs mit einem Menschenrecht „mit Nachdruck zurück“. Im Juli 2013 habe das OLG das letzte Urteil des Landgerichts Bayreuth über die Fortdauer der Unterbringung aufgehoben – mit Hinweis auf die veränderten Umstände und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Auch die bayerische Opposition reagierte prompt: Die Entscheidung sei eine „schallende Ohrfeige“ für Merk und die CSU, sagte die Vizevorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Inge Aures. Grünen-Fraktionschef Martin Runge nannte den Karlsruher Beschluss eine „Schande für die Ministerin“. Florian Streibl (Freie Wähler) bilanzierte: „Es rückt den Skandal in Bayern wieder zurecht, aber es ist traurig, dass es eines Karlsruher Urteils dazu bedurfte.“

Justizministerin Merk selbst bewertete die Entscheidung des Verfassungsgerichts hingegen als Beweis für das Funktionieren des Rechtsstaats. „Richter kontrollieren Richter. Auch in diesem Zusammenhang hat man gesehen, dass diese Kontrolle der Gerichte funktioniert“, sagte sie.