Mich hat der Tod des Models Kasia Lenhardt (25), über den in den vergangenen Tagen viel berichtet wurde, sehr bewegt. Was bringt eine junge Mutter dazu, am sechsten Geburtstag ihres Sohnes keinen Sinn mehr im Leben zu sehen? Die Öffentlichkeit kennt keine Antwort auf diese Frage. Sie konnte aber in den Tagen vor dem Suizid mitverfolgen, wie Lenhardt unzählige hasserfüllte Nachrichten in den sozialen Netzwerken erhielt.
Nach Fällen wie diesen entbrennt jedes Mal wieder die gleiche Debatte: Wie können wir den Hass im Netz stoppen? 2019 wurde CDU-Politiker Walter Lübcke vor seinem Haus von einem Rechtsextremisten erschossen – zuvor hatte es im Internet Mordaufrufe gegen ihn gegeben. Der Aufschrei danach war groß: So kann es nicht weitergehen! Stoppt den Hass! Doch er ist weiter im vollen Gang.
Karl Lauterbachs Büroschreibtisch quillt fast über mit Anzeigen und Ermittlungsverfahren, wie er bei Twitter nun verriet. „Erneut rollt eine Hasswelle über mich im Internet, mit Morddrohungen und Beleidigungen, die schwer zu ertragen sind“, postete der SPD-Gesundheitsexperte am Valentinstag.
Hass im Netz: Pflicht zu Klarnamen in sozialen Netzwerken?
In den sozialen Netzwerken findet sich die Unzufriedenheit der Menschen wieder. Hier lassen sie ihren Frust raus. Und der hat während der Corona-Krise stark zugenommen. Viele Leute machen Karl Lauterbach mitverantwortlich, dass es in Deutschland immer noch keine wesentlichen Lockerungen gibt. Bei vielen liegen die Nerven – verständlicherweise – blank.
Doch dies ist noch lange kein Grund, jemandem zu drohen („Du solltest auf deine Familie aufpassen!“) oder ihm gar den Tod zu wünschen. Lauterbach will sich davon nicht unterkriegen lassen. „Es geht hier um die Gesundheit des Landes. Und ich werde weitermachen, wie viele andere meinen Beitrag dazu leisten“, sagte er dem „Spiegel“. Wie dick muss ein Schutzpanzer sein? Wie lange hält ein Mensch eine öffentliche Hetzjagd aus? Was macht das mit ihm?
Wie viele andere vor mir habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, was man gegen den Hass im Netz unternehmen kann. Sofort zeigte mein Finger in Richtung Politik. Es muss doch Gesetze geben, die Hassnachrichten verhindern oder zumindest eindämmen.
Schnell landet man beim Streitthema Klarnamenpflicht, die Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble bereits forderte. Sie verpflichtet Social-Media-Nutzer, sich mit ihrem richtigen Namen in den Portalen anzumelden. Auf diese Weise soll ihnen die Anonymität genommen werden – denn viele Hetzer verstecken sich hinter Pseudonymen, aber lange nicht mehr alle. China zwingt seine Internetnutzer ebenfalls zu Klarnamen. Allein diese Tatsache zeigt, dass dies nicht der richtige Weg sein kann.
Frust entsteht offline durch soziale Ungerechtigkeit
Drohungen und Beleidigungen im Netz müssten konsequenter angezeigt und von der Polizei verfolgt werden. Vielleicht würden harte Strafen Menschen abschrecken. Doch die Masse der Hassnachrichten ist kaum zu bewältigen. Ein einziger Satz kann eine Hausdurchsuchung, die Beschlagnahmung und Auswertung von Datenträgern nach sich ziehen. Das dauert.
Soziale Dienste wie Facebook löschen unangebrachte Kommentare – jeden Troll ausfindig zu machen ist allerdings eine Sisyphusarbeit. Inzwischen hat sich eine Reihe an Initiativen gebildet, die sich für digitale Zivilcourage einsetzen. 45.000 Mitglieder haben sich zum Beispiel der Aktion #ichbinhier angeschlossen. Ehrenamtliche Streitschlichter versuchen mit sachlichen und konstruktiven Kommentaren der aggressiven Stimmung entgegenzuwirken. Das kann theoretisch jeder von uns tun, der Feindseligkeit in den Kommentarspalten mitbekommt.
Lesen Sie auch:
Doch selbst wenn der Hass tatsächlich aus dem Internet verbannt wird – der Hass im Menschen bleibt. Seine Unzufriedenheit verschwindet nicht, wenn er den Computer ausschaltet oder das Handy beiseitelegt. Soziale Netzwerke können gegen Hetze vorgehen, aber nicht die Menschen verändern, die sie verbreiten. Das ist ein gesellschaftliches Problem.
Frust entsteht offline durch soziale Ungerechtigkeit, die Online-Welt bietet dafür ein Ventil. Für mich gibt es nur eine Antwort: seinen Mitmenschen mit mehr Liebe, Verständnis und Mitgefühl im Alltag zu begegnen. Ja, dies wird nicht bei jedem wirken. Aber vielleicht bei denjenigen, die verletzende Beiträge verfassen, weil sie selbst nach Aufmerksamkeit und Liebe schreien.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Kolumnen