Meinung
Dohnanyi am Freitag

Die Wahlrechtsreform: Ist sie nur demokratische Absurdität

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Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi und Matthias Iken, stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.

Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi und Matthias Iken, stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.

Foto: Sven Simon/Andreas Laible / imago images/HA

Hamburgs Altbürgermeister im Gespräch mit Matthias Iken vom Abendblatt. Heute geht es über das neue Wahlreicht

Matthias Iken:Der Streit über das neue Wahlrecht verschärft sich – CSU und Linke sehen darin ein „großes Schurkenstück“. Aber setzt die Ampel damit nicht nur ein Bundesverfassungsgerichtsurteil um?

Klaus von Dohnanyi: Das kann man so sehen, aber war das Gericht eigentlich legitimiert, so tief in die die Rechte des Bundestages einzugreifen? Nach dem Grundgesetz entscheidet doch der Bundestag, wie in Deutschland gewählt wird (Art 38,1 GG ). Unser Verfahren hatte sich bewährt: Einerseits die Stimmung im Volke widerzuspiegeln, dafür waren die Listen der Parteien gedacht. Und andererseits die Nähe der Wahlkreiskandidaten zu den Wählern und eine Unmittelbarkeit der Demokratie durch die direkt gewählten Kandidaten zu gewährleisten. Aber dann bemängelte das Bundesverfassungsgericht, dass die Sitzverteilung nicht immer den für die Parteien insgesamt abgegebenen Stimmen entspreche und befahl dem Bundestag ein Verhältniswahlrecht. Mit welchem Recht? Waren denn die Wahlen in England und USA, die auf das Mehrheitswahlrecht setzen, auch schon immer undemokratisch? Anmaßende Juristerei?

Iken: Warum plädieren Sie für das Mehrheitswahlrecht in den Wahlkreisen?

Dohnanyi: Das reine Mehrheitswahlrecht hat natürlich große Nachteile. Es spiegelt den Wählerwillen zu wenig wider; Minderheiten können ein Land regieren, wie zum Beispiel unter Donald Trump die USA. Kleine Parteien können sich kaum erfolgreich bilden, und das mindert die Reformbereitschaft der Parlamente. Unter Bundeskanzler Kiesinger (1966-1969) beschloss die damalige Große Koalition, das englische Mehrheitswahlrecht einzuführen – bis eine Studie der SPD zeigte, so käme sie nie an die Regierung, und Herbert Wehner die Reißleine zog. Ein Glück für die Republik! In den einzelnen Wahlkreisen war es immer anders: Die gleichberechtigte Listenwahl schuf einen gewissen Ausgleich und war damit eigentlich schon der ideale Kompromiss.

Iken: Wie aber kann dann der XXL-Bundestag verkleinert werden?

Dohnanyi: Natürlich ist der Bundestag zu groß. Aber der Maßstab der ursprünglichen Größe in der alten BRD ist auch problematisch: Mit der Wiedervereinigung stieg die Zahl der Wahlkreise von 248 auf 299 und die der Wahlberechtigten von 45 Mio. auf 60 Mio. Zur Verkleinerung des Bundestages einen mit Mehrheit gewählten Kandidaten nach Hause zu schicken (wie vielleicht in Hamburg?), damit ein Listenkandidat einen Sitz erlangt, kann nicht überzeugen. In Bayern erreichen die Kandidaten offenbar zu viel Vertrauen – sollen also eventuell alle raus aus dem Bundestag? Wie wird das Verfassungsgericht mit dieser demokratischen Absurdität umgehen?

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