Hamburg. Der Gruß des Kaufmanns, so heißt es, ist die Klage. Und wer jemals einen Unternehmertag besucht hat, einem Firmenlenker lauschen durfte oder die Erklärung eines Industrieverbandes lesen musste, weiß: Der Abschwung ist nah, der Standort in Gefahr, die Kosten viel zu hoch – mitunter fühlte man sich bei der Weltuntergangslyrik an die Letzte Generation erinnert.
So hören viele schon nicht mehr hin, wenn dann wieder geklagt wird – das alte Lied, dass die Wirtschaft leidet, kennt man seit Willy Brandts Zeiten. Dafür ging es gerade in den vergangenen Jahren doch hübsch aufwärts.
Blöd nur, wenn keiner den Klagen ein offenes Ohr schenkt, wenn sie berechtigt sind. Dieses Mal sollte man den Warnungen Glauben schenken. Die Lage ist ernst, verdammt ernst. Der Bundesrepublik droht ein dramatischer Wohlstandsverlust, der weder in Politik noch in Medien angekommen ist. Dort wird mit dem selbstbeschwörerischen Satz „Deutschland ist ein reiches Land“ munter weiter Geldsack um Geldsack verteilt oder die Verteilung zumindest gefordert. Die Krise kam bei vielen gar nicht an, weil der Doppel-Wumms die Kosten des Krieges für viele verschleiert hat. Kurzfristig mag das richtig sein, um den Schock in Grenzen zu halten. Mittelfristig ist es fatal, weil das Land endlich aus seinem Schlaf der Vernunft aufwachen muss.
Deutsche Wirtschaft ächzt unter Energiepreisen, die nicht wettbewerbsfähig sind
Denn schon seit Jahren schwächelt die Wirtschaft, ohne dass das in den Köpfen der Menschen ankam: Später als fast alle Nachbarstaaten hat Deutschland das Vor-Corona-Niveau erst im Herbst 2022 erreicht, und nun geht es schon wieder abwärts: Die deutsche Wirtschaft ist zum Ende des vergangenen Jahres stärker geschrumpft als angenommen – das Bruttoinlandsprodukt sank im vierten Quartal um 0,4 Prozent. Die hohe Inflation belastete den Privatkonsum, die Bauinvestitionen gingen ebenso zurück wie Investitionen der Unternehmen in Ausrüstungen. Auch im kommenden Quartal dürfte die Wirtschaftsleistung sinken. Die Folgen des Krieges werden immer deutlicher: Ökonomen schätzen, dass das reale Bruttoinlandsprodukt 2024 ohne Krieg um 5,5 Prozent höher und das Preisniveau um drei Prozent niedriger gewesen wäre.
Viele Unternehmen wie BASF fahren die Produktion zurück. Und bereits versprochene Investitionen werden auf Eis gelegt: Der Bau von Intels Chipfabrik in Magdeburg verzögert sich, weil das US-Unternehmen um weitere milliardenschwere Subventionen pokert. Teslas Batteriefabrik in Grünheide ist auf die lange Bank geschoben, ebenso wie das Northvolt-Batteriewerk in Heide.
Die deutsche Wirtschaft ächzt unter Energiepreisen, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Und die USA werben um europäische Industriebetriebe, auf dass sie sich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der unschlagbaren Energiepreise ansiedeln. Mit konkurrenzfähigen Preisen ist hierzulande vorerst nicht zu rechnen, weil Nord Stream, die Lebensader für billige Energie, in die Luft gejagt wurde. Auch wenn man dem russischen Diktator Wladimir Putin alles zutrauen muss, verwundert, wie desinteressiert die deutsche Öffentlichkeit auf die Recherchen des US-Starreporters Seymour Hersh reagierte: Er behauptet, die CIA stecke hinter den Anschlägen. Es ist aber fast müßig, weil jedem Investor klar ist: Energieintensive Unternehmen sind in Deutschland kaum noch wettbewerbsfähig. Die nächsten Milliarden fließen nach Übersee oder China.
Wirklich spitze ist Deutschland derzeit nur noch in Bedenkentragen und Bürokratie
Wirklich spitze ist die Bundesrepublik derzeit nur noch in Bedenkentragen und Bürokratie. Wir wissen nur, was nicht geht. Die Brexit-Briten hingegen locken deutsche Firmen mit Möglichkeiten. Im Januar teilte Biontech aus Mainz mit, sein Forschungs- und Entwicklungszentrum zur Krebstherapie in Großbritannien aufzubauen. In London hat auch das einst deutsche Unternehmen Linde seinen Steuersitz gefunden: Der Schlüsselspieler beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ist nach der Fusion mit Praxair von München nach Dublin gezogen, die Chefs sitzen in den USA. Heute wird der derzeit wertvollste Dax-Konzern übrigens zum letzten Mal in Frankfurt gehandelt.
Für die Bundesregierung sollten diese Hiobsbotschaften eine Aufforderung zum Handeln sein. Sie wollte doch mehr Fortschritt wagen: Deutschland benötigt nicht mehr Ausstiegsfantasien, sondern endlich Aufstiegsideen. Und mehr Wohlstand für alle statt Petzportalen.
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