Meinung
Immobilien Hamburg

Umziehen, damit das Kind auf die richtige Schule kommt?

| Lesedauer: 5 Minuten
Jule Bleyer ist stellvertretende Leiterin des Hamburg-Ressorts und schreibt über den Hamburger Immobilienmarkt.

Jule Bleyer ist stellvertretende Leiterin des Hamburg-Ressorts und schreibt über den Hamburger Immobilienmarkt.

Foto: Roland Magunia / Roland Magunia / Hamburger Abendblatt

Aus welchen Gründen Menschen wohnen, wo sie wohnen. Und wo die wohnen, die sich darüber nie Gedanken machen mussten.

Vergangenes Wochenende waren Freunde aus der Pfalz zu Besuch. Ein ganzer Tag verging, ohne dass wir auch nur einmal über das Thema Immobilien gesprochen haben. Das war schon sehr ungewöhnlich, denn eigentlich gibt es seit langer Zeit kein Treffen mit Bekannten mehr, bei dem nicht ab irgendeinem Punkt darüber geredet wird, wie andere wohnen oder man selbst wohnt, wohnen möchte, niemals wohnen wird. Wenn Sie auf einer Party ein Smalltalkthema brauchen: Einfach einen Halbsatz über Immobilienpreise fallen lassen, schon stehen Sie im Mittelpunkt einer lebhaften Diskussion. Dazu hat weiterhin jeder etwas zu sagen.

So auch neulich auf einem Geburtstag. Das erste Glas Crémant war noch nicht ausgetrunken, da ging es schon los – und das, obwohl 90 Prozent der Gäste im Eigenheim leben. Kurzes in Erinnerung schwelgen, wie es war, als die Gastgeberin noch im selben Haus wie ihre alte Freundin gelebt hat, und schon ging es darum, zu welchem Preis sie die 75-Quadratmeter-Wohnung damals gekauft und wieder verkauft hat, und für wie viel diese vor einem Jahr angeboten wurde (2013: 260.000 Euro, 2017: 475.000 Euro, 2022: 600.000 Euro).

Wohnen in Hamburg: Dazu kann jeder eine Geschichte erzählen

Egal, wie oft solche Geschichten erzählt werden, alle hören immer wieder gerne zu. Und fühlen sich animiert, die eigene Immobiliengeschichte wiederzugeben. Die Diskussion über Stadt oder Umland ist dabei ein Klassiker mit immer neuen Facetten. So berichtete ein Gast über das Glück vom elb- wie großstadtnahen Leben in Wedel, das aus seiner Sicht nur einen einzigen Nachteil habe: Dass die Schulkinder nicht in den Hamburger Frühjahrsferien frei hätten. Schließlich wolle man trotz Umzugs in den Speckgürtel weiter in die Skiferien fahren.

Quintessenz nach einem kleinen kontroversen Diskurs darüber, ob man die Kinder einfach für eine Urlaubswoche vom Unterricht befreien könnte: Auf die weiterführende Schule soll es in Hamburg gehen. Aber hier leben: Nein, danke.

Darf man umziehen, damit der Sohn auf die richtige Schule kommt?

Oder möchte man locker 200.000 Euro mehr ausgeben, nur um innerhalb der Stadtgrenzen zu wohnen? Andere Gäste hatten sich diese Frage natürlich auch gestellt und relativ schnell beantwortet. Sie haben vor ein paar Jahren in Neu Wulmstorf gebaut, wo es alles gebe, „was man zum Leben braucht“, im Übrigen auch sehr gute Schulen.

Woraufhin jemand von einer Familie zu berichten wusste, die kürzlich ihr Haus verkauft hatte, nur um einen Stadtteil weiter in die Straße des dortigen Gymnasiums zu ziehen – um absolut sicherzugehen, dass der Sohn auf dieser Schule einen Platz bekommt. Dort wohnen sie jetzt zur Miete.

Wieder einen neuen Begriff gelernt: Firesale

Vollkommen absurd, waren sich die Gäste einig. Keine Bildungseinrichtung dieser Welt sei es wert, ein Eigenheim in Hamburg wegzugeben. Zumal man derzeit ohnehin nicht den Wunschpreis bekomme. Von 850.000 auf 775.000 sei das Haus runtergehandelt worden, denkbar schlechtester Zeitpunkt, um unter Druck zu verkaufen. Auch wer das schon wusste, hat zumindest einen neuen Begriff dafür gelernt: Firesale.

Eindeutig „First-Wohn-Problems“, hörte man der Besucherin zu, bei der gerade eine Eigenbedarfsklage vor der Mietwohnungstür steht. Mit ihr wollte an diesem Abend wirklich niemand tauschen, ebenso wenig allerdings mit dem Paar, dessen Anschlussfinanzierung für den Kredit demnächst ansteht. Zum Glück hatten die Gastgeber genug Crémant im (noch lange nicht abbezahlten) Haus.

Wohnen in Hamburg heißt, nachts mit Existenzängsten wach zu liegen

Und was hätten die Freunde aus der Pfalz dazu gesagt? Für sie war das Wohnen tatsächlich nie ein Thema. Sie leben in ihrem Heimatdorf in einem Haus, das seiner Familie gehört, und zwar in siebter Generation. Sie mussten noch nie Immobilienanzeigen durchkämmen, Wohnungen besichtigen, auf eine Zusage hinfiebern, Absagen verdauen, Mieten vergleichen, um einen Kredit kämpfen, nachts mit Existenzängsten wach liegen, weil sie nicht wussten, ob sie jemals ein Zuhause finden würden, für das sie die monatliche Rate stemmen können. Die Frage, wie und wo sie leben, hat sich einfach nicht gestellt.

Am Ende ihres Besuchs haben wir doch noch über dieses Thema gesprochen. Auf der nächsten Party bei ihnen im Ort werden sie viel zu erzählen haben.

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