Hamburg. Es ist nicht lange her, dass Thomas Rabe, der Chef des Medienkonzerns Bertelsmann, höchst optimistisch davon sprach, dass man aus RTL Deutschland und dem Verlagshaus Gruner + Jahr einen „nationalen Medien-Champion“ formen werde. Das klang fast zu schön, um wahr zu sein.
Heute wissen die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Hamburg: Das war es auch. Aus der vermeintlichen Erfolgsgeschichte ist für das Unternehmen, das einmal Gruner + Jahr war, eine Katastrophe geworden. Man kann verstehen, dass die Menschen dort das Gefühl haben, veräppelt worden zu sein, um es einmal norddeutsch vornehm zu sagen. Und ja, sie können einem leid tun.
Vor zwei Jahren war Gruner + Jahr noch ein kerngesundes Unternehmen
Gruner + Jahr war noch vor zwei Jahren ein kerngesundes Unternehmen, das eine Rendite von etwas über zehn Prozent erwirtschaftete, nichts, für das man sich schämen musste. Man kämpfte, wie alle Medienhäuser, mit der Digitalisierung, was mal besser gelang, zum Beispiel bei Applike oder „Chefkoch“, und mal gar nicht.
Aber die Kreativität am Baumwall war ungebrochen und die Lust auf eine Zukunft, die auf hochwertigem Journalismus gründet, auch. Am liebsten wäre man das geblieben, was man immer war: ein Verlagshaus mit vielen unterschiedlichen Marken und Produkten, das immer wieder die Kraft bewiesen hatte, sich aus sich selbst heraus neu zu erfinden.
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Das Vertrauen in die Aussagen von Chef Thomas Rabe ist nachhaltig gestört
Absurderweise wird es genau dieses Haus jetzt wieder geben, an einem neuen Standort in Hamburg, an dem Bertelsmannchef Thomas Rabe spätestens 2024 all das versammeln will, was nach der Einstellung von 23 Magazinen, dem Verkauf diverser weiterer Titel und dem Abbau von rund 700 Arbeitsplätzen übrig geblieben ist. So hält der Mann, der in Personalunion auch Chef von RTL Deutschland ist, sein Versprechen ein, das er Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher gegeben hat: Das Unternehmen bleibt in der Stadt, sogar der alte Name hat Bestand: die Gruner + Jahr Deutschland GmbH gibt es noch, sie gehört nur seit 2022 komplett zu RTL Deutschland.
Das Problem: Das Vertrauen in das, was Thomas Rabe sagt, ist in Hamburg nachhaltig gestört, die Kommunikation mit der Bertelsmann-Kommandozentrale in Gütersloh war es schon länger. Ursprünglich hatte Rabe den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Hamburg seine Pläne, die das Arbeitsleben von mindestens 700 Menschen grundlegend verändern, erst in der kommenden Woche verkünden wollen. Als er sah, wie ihm und Bertelsmann die mediale Berichterstattung entglitten (und wie seine eigenen, nicht zu übersehenden Versäumnisse in dem Prozess immer stärker thematisiert wurden), verlegte er die Reise nach Hamburg nach vorn, auf diesen Dienstag.
Gruner + Jahr: Ist der Verkauf der großen Marken nur aufgeschoben?
Zu spät. Die Diskussion hatte sich verselbstständigt, das Misstrauen, das sich in den vergangenen Wochen und Monaten aufgebaut hat, wird auch bei denen bleiben, die im großen Bertelsmann-Reich weiterarbeiten dürfen. Schon wird darüber geredet, ob der Verkauf von Titeln wie „Gala“, „Brigitte“ und Co., die an dem neuen Standort zusammengefasst werden sollen und die nur noch punktuell mit RTL zusammenarbeiten sollen, nur aufgeschoben ist. Auch, weil die Marken deutlich mehr wert sein dürften, wenn man sie erst einmal so aufgestellt hat, wie Rabe das am Dienstag in Hamburg skizziert hat.
Vielleicht sind am Ende die Zeitschriften die Gewinner, die Bertelsmann zum Verkauf anbietet: Sie kommen zu Unternehmen, die sie wirklich wollen – und sie kommen endlich raus aus dem Strudel der negativen Nachrichten.
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