Fußball ist nur vordergründig ein Spiel, bei dem einer Lederkugel nachgejagt wird. Darüber hinaus bietet Fußball der männlichen Hälfte des Planeten den Zugang zu einem rätselhaften Universum, der Welt der Gefühle. Männer werden ja von klein auf noch immer mit einem eher schmalen emotionalen Repertoire aufgezogen: immer kämpfen, gegen sich, andere und den Rest der Welt.
Beim Fußball nun darf gejohlt, gelitten, getrauert werden. Männer entdecken Mitgefühl und dürfen andere Kerle umarmen, ohne sich erklären zu müssen. Kicken, das Portal zur Vielfalt der Innenwelt, erlaubt sogar unmännliches Weinen, wofür ansonsten mindestens ein Großer Zapfenstreich organisiert werden muss. Wir erinnern uns: Kaum knödelte die Bundeswehrkapelle „My Way“, war’s um den harten Hund Schröder geschehen.
Medienkollege Johnny Haeusler bewies neulich Männermut, als er die Frage aufwarf, ob Männer ab 50 den Tränen womöglich näher sind als jüngere, die lieber Testberichte lesen, was Tornado und F16 so können. Haeusler gestand, dass weniger Traurigkeit für Weinwasser marsch sorgt, schon vielmehr geringste Anlässe der Rührung. Kenn ich. Ob drei Takte Led Zeppelin oder „Die Legende von Paul und Paula“, ob ein Kinderfoto oder der Nachwuchs, der sich tapfer im Schulorchester müht – schon geht’s los, das kleine Schluchzen zwischendurch.
Beim Fußball entdecken Männer die Welt der Gefühle
Vielleicht die Hormone. Auch Männer erleben Wechseljahre, nicht Meno-, sondern die Andropause. Der Kampf- und Kraftstoff Testosteron wird weniger, der Mann rundum weicher. Vielleicht sind’s auch gar keine Tränen, sondern aufsteigender Altersschweiß, der sich seinen Weg sucht. Haeusler fragte, was man tun könne, wenn in vermeintlich unpassenden Momenten plötzlich die Brille beschlage. Teilnahmsvolle Brüder rieten zu Atemkontrolle oder kühlenden Gedanken, etwa an Angela Merkel.
Von Barack Obama wissen wir, dass ein Tränchen hier und da kein Zeichen von Schwäche ist, sondern von angenehmer Altersmilde. Insofern gilt dasselbe wie beim Fußball: einfach laufen lassen.
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