Die Landwirtschaft war die verheerendste Erfindung der Menschheit, schreibt Juval Hariri in seinem Bestseller „Kurze Geschichte der Menschheit“ – und er hat recht. Als wir noch keine acht Milliarden Menschen waren, war sie ein Segen. Heute ist sie ein Fluch. Ihr Hauptproblem: Sie verbraucht zu viel Land.
Wir müssen demnächst weitere zwei Milliarden Menschen ernähren, dürfen aber auf keinen Fall mehr Land verbrauchen, im Gegenteil. Wenn wir die Erwärmung unserer Atmosphäre und das rasante Artensterben stoppen wollen, müssen wir die landwirtschaftlich genutzte Fläche dramatisch reduzieren.
Alle 15 Stunden legt in Europa ein Schiff mit Soja an
Europa hat die heraufziehende Katastrophe bislang nicht begriffen. Schon jetzt importieren wir 70 Prozent unseres Bedarfs an proteinreichen Pflanzen, zumeist aus klimatisch und politisch instabilen Regionen, in denen für unseren Bedarf täglich mehr Regenwälder abgeholzt werden. Alle 15 Stunden legt in Europa ein Schiff allein mit Soja an.
Unsere Abhängigkeit von Importproteinen lässt die Gasabhängigkeit von Russland im Vergleich verblassen. Statt das Problem ernsthaft anzugehen, träumt Europa von Biolandwirtschaft und Fleischverzicht – doch wer soll das wie umsetzen (und noch dazu im Weltmaßstab)? Europa, so war es kürzlich wieder in Brüssel zu hören, soll der „Feinkostladen der Welt“ werden: ohne hochproduktive Sorten, Gentechnik, Pflanzenschutz und Düngemittel – ein klima- und naturschutzpolitischer Irrsinn.
Denn Biolandbau liefert ca. 35 Prozent weniger Ertrag und ist damit so ziemlich die verschwenderischste Form der Landnutzung, die man sich vorstellen kann. Denn um diese Mindererträge wiederum mit Biolandbau zu kompensieren, benötigt man dann 54 Prozent mehr Land! Wenn wir uns aber eins nicht mehr leisten können, dann ist es unproduktive Landwirtschaft.
In dem unwahrscheinlichen Fall, dass Europa sich demnächst ein Stück weit für neuartige Züchtungsmethoden öffnet, bekämen wir vielleicht auch hierzulande ertragreichere und klimaschonendere Sorten, aber selbst 40-prozentige Ertragssteigerungen werden uns nicht retten.
Aquakulturen sind keine nachhaltige Alternative
Ein anderes Thema ist die Überfischung der Meere. Es ist ein Irrglaube, dass Aquakulturen eine nachhaltige Alternative sind. Zwar stammen inzwischen mehr als die Hälfte aller weltweit verzehrten Meerestiere aus Aquakulturen, aber gefüttert werden sie vor allem mit Fischmehl – produziert aus „Beifang“, wie der euphemistische Name lautet.
ro Kilogramm produziertem Fisch werden etwa fünf Kilogramm Fischmehl und -öl verfüttert. Mit anderen Worten: Je mehr Fisch aus Aquakultur verzehrt wird, desto mehr Fisch verschwindet aus den Weltmeeren. Rund eine halbe Million Tonnen Fischmehl importiert allein die EU Jahr für Jahr; weltweit sind es etwa fünf Millionen Tonnen.
Können wir die Landwirtschaft hinter uns lassen?
Doch jetzt bahnt sich eine Revolution an. Erstmals in der Geschichte der Menschheit ergibt sich die Möglichkeit, die Landwirtschaft hinter uns zu lassen und damit den Klimawandel aufzuhalten, die Ernährungssicherheit zu gewährleisten, das Wohlergehen von Mensch und Tier zu verbessern und die Artenvielfalt zu erhöhen. Bislang ist die Lösung allerdings nur Spezialisten bekannt: Nach der Domestizierung von Mensch und Tier kommt jetzt die Domestizierung der Mikroorganismen, die es ermöglicht, Ackerbau und Viehhaltung Schritt für Schritt zu reduzieren.
Das ist kein ferner Traum wie die Kernfusion. Schon jetzt zeigen erste Pionierfirmen, dass Nahrung für Mensch und Vieh, einschließlich Fischen, völlig unabhängig von Bodennutzung, Jahreszeiten, Wetter und Klima erzeugt werden kann – in großen Tanks, durch die Gase wie CO und Wasserstoff strömen, 24 Stunden am Tag, im Dunkeln und sogar unter der Erde. Es gibt keine Rückstände, keine Verschwendung von Ressourcen, keine Umweltverschmutzung.
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In den Tanks leben Mikroorganismen, die das Wunder auch in der Natur vollbringen – seit Jahrmillionen, und dank der modernen Biotechnologie können wir sie heute systematisch suchen. Darunter gibt es Bakterien, deren Proteingehalt mit ca. 65 Prozent wesentlich höher ist als der von Soja (ca. 35 Prozent). Unter günstigen Bedingungen lässt es sich zu einem Preis herstellen, der dem Weltmarktpreis von Fischmehl entspricht. Mit nur 500 Anlagen, die überall in Europa stehen können, wo es genügend Wind, Sonne und CO2-Emissionen gibt, könnte der Fischmehlbedarf der EU abgedeckt werden.
In den USA hat Präsident Biden 2022 den Start einer Zwei-Milliarden-Dollar-Initiative bekannt gegeben, um unter anderem die Marktreife solcher Produktionsprozesse zu beschleunigen. Europa hat angekündigt, ein Projekt zur „Erforschung alternativer Proteine“ zu fördern. Wenn es dabei bleibt, verschläft die EU eine biotechnologische Revolution, die dem Klima mehr nutzen könnte als der „Green Deal“, den die Kommission 2021 beschlossen hat.
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