Meinung
Hamburger KritIKEN

Multikulti ist kein ewiges Straßenfest

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Matthias Iken beleuchtet jedes Wochenende in seiner Kolumne Hamburg und die Welt.

Matthias Iken beleuchtet jedes Wochenende in seiner Kolumne Hamburg und die Welt.

Foto: Andreas Laible

Die Reaktionen auf den Mord von Illerkirchberg zeigen vor allem eins: Die Migrationsdebatte dominieren Radikale.

Hamburg. Der Mord von Illerkirchberg verstört – dort wurde die 14-jährige Ece auf dem Schulweg aus dem Leben gerissen, ihre 13 Jahre alte Freundin überlebte mit Glück. Dringend tatverdächtig ist ein Asylbewerber aus Eritrea. Und damit ist man wieder mittendrin in einer sehr deutschen Debatte: Die AfD brauchte nur wenig Zeit, um den tragischen Fall zu instrumentalisieren und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) aufzufordern: „Schicken Sie abgelehnte Asylbewerber, illegale Migranten, kriminelle Zuwanderer und Gefährder konsequent, umgehend und ohne Ausnahme in ihre Herkunftsländer zurück.“

Was in diesem Fall übrigens nicht geholfen hätte – denn der mutmaßliche Täter hielt sich bis dato unbescholten und legal in Deutschland auf.

Migration ein schwieriges Thema bei uns

Auf der anderen Seite hieß es ebenso ritualhaft, die Tat sei ein schrecklicher Einzelfall – und manchen wäre es am liebsten, man würde gar nicht über die Nationalität des Täters sprechen. Es gibt bei manchen eine seltsame Bereitschaft, über Untaten von Zuwanderern hinwegzusehen, sie kleinzureden oder zu relativieren. Wenn ein syrischer Flüchtling im Oktober 2020 in Dresden ein schwules Paar niedersticht und einen der Männer tötet, bewegt das die Republik jedenfalls weniger als Homophobie in Katar.

Das zeigt zweierlei: Wir können noch immer nicht vernünftig über Migration sprechen. Für die einen ist sie der Schlüssel zum Glück, für die anderen das Ticket in den Untergang, die einen sehen in jeder Fluchtbewegung die Basis für ein neues Wirtschaftswunder, andere hingegen den sicheren Schritt in die Staatspleite. „Wir bekommen Menschen geschenkt“, erklärte die damalige Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt während der Flüchtlingskrise 2015 verzückt.

Interessen dürfen verteidigt werden

Deutschland werde „jünger, bunter, auch religiöser“. Alice Weidel von der AfD sah 2018 in jedem Neuankömmling „Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“. Auch wenn das Menschenbild von Göring-Eckardt sympathischer und christlicher ist als das der AfD ist, als Handlungsmaxime für ein Land taugt es wenig. Die Bundesrepublik ist kein Staat gewordener Kirchentag. Er hat Interessen und darf sie verteidigen.

Das zu sagen, fällt vielen schon schwer. Im öffentlichen Diskurs hat sich eingebürgert, dass eine besonders migrationsfreundliche Politik zugleich als haltungsstarkes Statement gegen Rechtspopulismus gilt. Je lauter die AfD Begrenzungen fordert und auf Kosten von Zuwanderern Politik macht, desto demons­trativer reagieren gerade die Grünen: Abschiebungen sollen erschwert, Einbürgerungen erleichtert, neue Fluchtgründe anerkannt und Zuwanderer finanziell bessergestellt werden.

AfD bestimmt am Ende doch die Politik

Damit bestimmt die AfD am Ende doch die Politik – als Negativabzug. Dass in ganz Europa Regierungen anders handeln, schert die Bundesregierung wenig – ganz im Gegenteil scheint sie es als Ansporn zu verstehen. Damit aber schafft sie ein Problem, das es gar nicht geben müsste.

Natürlich benötigt die Bundesrepublik Zuwanderung – und vieles im „Chancen-Aufenthaltsrecht“ ist durchaus sinnvoll. Aber zu einer Politik, die die Chancen sieht, gehört zugleich ein Abwägen der Risiken. Einwanderung ist eine Bereicherung für das Land, aber im Alltag kein ewiges buntes Straßenfest. Neben den Vorteilen müssen auch die Nachteile diskutiert werden.

Grenzen nicht zu großzügig definieren

Die Sicherheitslage gehört dazu – Zuwanderer sind in den Kriminalitätsstatistiken deutlich überrepräsentiert. Der Mord von Illerkirchberg ist am Ende eben kein Einzelfall – im selben Dorf hatten vier Asylbewerber aus dem Irak und Afghanistan 2019 eine 14-Jährige mehrfach vergewaltigt. Die Liste ist lang, und sie ist zu lang. Darüber muss zu sprechen sein, ohne Schuldzuweisungen, ohne Zuspitzungen.

Olaf Scholz hat in seinem Buch „Hoffnungsland“ bewiesen, dass er beide Seiten von Migration durchaus im Blick hat: „Natürlich kann nicht jeder, der das möchte, zu uns kommen. Es gibt Grenzen der Aufnahmefähigkeit eines Landes, deren Überschreitung sowohl zulasten der Akzeptanz von Zuwanderung als auch des Erfolgs von Integration ginge“, sagte der Kanzler kürzlich im Bundestag. In den schweren Zeiten, die vor uns liegen, sollte man diese Grenzen nicht zu großzügig definieren – sonst sieht die Mehrheit eines nicht mehr allzufernen Tages nur noch die Risiken und gar keine Chancen mehr.

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