Meinung
Deutschstunde

Die Läuse im Pelz der Sprache

| Lesedauer: 4 Minuten
Peter Schmachthagen
Peter Schmachthagen  schreibt hier an jedem Dienstag über  die Tücken der deutschen Sprache.

Peter Schmachthagen schreibt hier an jedem Dienstag über die Tücken der deutschen Sprache.

Foto: Klaus Bodig / HA

Puristen mögen keine Partikeln, aber für uns sind sie die gefühlte Melodie eines Textes.

Seit einigen Wochen beschäftige ich mich mit der Stilistik, mit der Lehre von der Gestaltung des sprachlichen Ausdrucks. Diese Thematik war nicht geplant. Sie hat sich ergeben, wobei der eine Begriff einen anderen nach sich zog. Heute geht es um kleine Teilchen. Für Sprachpuristen wie Ludwig Reiners (1896–1957) handelt es sich um „Läuse im Pelz der Sprache“, die unser klares Deutsch mit überflüssigen Beigaben verunreinigen. Für Sprachwissenschaftler sind sie ein nie endendes Streitobjekt bei der Definition und Einordnung als Wortart. Für die Freunde unserer Muttersprache jedoch, für Schriftsteller und Leser, die noch die Feinheiten und die Melodie eines Textes spüren und genießen können, sind sie unverzichtbar zur Abtönung eines Satzes wie die Rosinen im Kaiserschmarrn oder die Schnittlauchröllchen im Kartoffelsalat.

Wir sprechen von den Partikeln, von kleinen eingestreuten Wörtern oder Wörtchen im Satz, die das Grundrezept nicht verändern, es aber modifizieren. Wie der Kartoffelsalat auch ohne Schnittlauch Kartoffelsalat bleibt, so bleibt die Aussage eines Satzes auch ohne eine Partikel erhalten. Wenn ein Einwohner am Stammtisch im Dorfkrug sagt: „Unser Bürgermeister ist ein Dummkopf“, so ist diese Feststellung nicht entscheidend von der erweiterten Form entfernt: „Unser Bürgermeister ist eben ein Dummkopf!“ Die Modalpartikel „eben“ suggeriert, dass es nicht mehr um die Meinung eines Einzelnen geht, sondern dass etwas allgemein Bekanntes wiedergegeben wird.

In der Sprachwissenschaft ist „die“ Partikel ein Wort im Femininum, das im Plural ein -n bekommt: „die Partikeln“. Auch die Physiker benutzen diesen Ausdruck für ein sehr kleines Teilchen eines Stoffs. Dann heißt es aber „das“ Partikel und im Plural „die Partikel“ ohne -n. Darum geht es hier nicht. Wenden wir uns den Redepartikeln zu, die auch Modal- oder Abtönungspartikeln genannt werden, weil sie eine bestimmte Einstellung des Sprechers signalisieren. Zu der Hauptklasse der Modalpartikeln zählen „aber, auch, bloß, denn, doch, eben, eigentlich, etwa, halt, ja, mal, nur, schon, vielleicht“ und „wohl“.

Partikeln sind nicht satzgliedfähig, sie bilden einen eigenständigen Zusatz beim Bau des Satzes (Syntax). Sie können nicht flektiert (gebeugt) werden. Sie fordern keinen Kasus (Fall) wie die Präpositionen. Sie können nicht verneint werden: Der Bürgermeister ist „nicht eben“ ein Dummkopf, das geht nicht. Sie sind nicht koordinierbar, also nicht mit „und“ oder „oder“ zu verbinden. Der Bürgermeister ist nicht „ja und eben“ ein Dummkopf. Vor allem sind sie nicht vorfeldfähig.

Das bedeutet, dass Redepartikeln nie im Vorfeld eines Hauptsatzes zu finden sind. Das Vorfeld eines Satzes ist der Teil, der vor dem finiten (gebeugten) Verb steht. Die Partikel folgt stets im Nachfeld. „Eben“ der Bürgermeister ist ein Dummkopf? Das wäre grammatisch falsch. Alle diese Definitionen lassen es angebracht erscheinen, den Redepartikeln eine eigene Wortart zuzugestehen.

Modalpartikeln haben Wortzwillinge (Homonyme) in anderen Wortarten, gleichlautende Wörter, die in ihrer Struktur und Bedeutung jedoch unterschiedlich auftreten. Können Partikeln also doch ins Vorfeld rücken? Nein, nur scheinbar. Tummeln sie sich vorn, handelt es sich um keine Partikeln mehr, sondern sie werden zu Adverbien mit einer deutlich anderen Bedeutung. Der Bürgermeister ist „vielleicht“ ein Dummkopf – diese Partikel macht die Aussage zu einer Beleidigung. Aber: „Vielleicht“ ist der Bürgermeister ein Dummkopf – das Adverb „vielleicht“ eröffnet die Möglichkeit, dass der Bürgermeister die Vorteile der neuen Windräder noch erkennen wird.

Das Wort „vielleicht“ erscheint im Lexikon doppelt, einmal als Adverb und einmal als Partikel. Wir müssen also syntaktische Detektivarbeit leisten, um die Wortart festzustellen. Vorsicht auch bei „aber“, das zur adversativen (entgegensetzenden) Konjunktion werden kann (dann übrigens immer mit einem Komma davor!) – „schön, aber windig“. Daher rührt die Forderung der Sprachpuristen, ganz auf Par­tikeln zu verzichten. Ich melde Widerspruch an! Mit der Sprache ist es wie mit dem Kaiserschmarrn – ganz ohne Rosinen schmeckt er nicht.

deutschstunde@t-online.de

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