Meinung
Deutschstunde

Deutsch muss man auch fühlen können

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Peter Schmachthagen
Peter Schmachthagen schreibt im Abendblatt wöchentlich über die Tücken der deutschen Sprache. Mails bitte an deutschstunde@t-online.de.

Peter Schmachthagen schreibt im Abendblatt wöchentlich über die Tücken der deutschen Sprache. Mails bitte an deutschstunde@t-online.de.

Foto: dpa/ Klaus Bodig

Unsere Sprache ist kein fader Eintopf, sondern ein mit Beilagen und Zutaten gewürztes Gericht.

Hamburg. Marlene Fischer untersucht in ihrem Taschenbuch die Feststellung „Warum Deutsch die wundervollste Sprache der Welt ist“ (Verlag riva). Ich darf ergänzen: Das gilt, wenn man es kann, wenn das Deutsche beim Reden und Schreiben nicht nur aus ein paar mühsam hervorgeholten Wörtern besteht. Wer am Klavier mit zwei Fingern lediglich eine wackelige C-Dur-Tonleiter zustande bringt, betrügt sich um die Schönheit der Musik und der Melodie. Wer unsere Muttersprache behandelt wie einen fad schmeckenden Schlag aus der Gulaschkanone, der verzichtet auf die Zutaten, die Bilder und die Gewürze der deutschen Sprache. Deutsch muss man nicht nur verstehen, Deutsch muss man auch fühlen können.

Es gibt wohl keinen Kolumnisten, der hier als Gegenposition nicht den amerikanischen Schriftsteller Mark Twain anführte, der 1881 in Hamburg an Land ging, um in 90 Tagen Deutsch zu lernen. Er scheiterte, und zwar vor allem an den Schachtelsätzen, an der starken und schwachen Deklination der Adjektive und an den drei grammatischen Geschlechtern (Genera) der Substantive, die so gar nichts mit der biologischen Wirklichkeit (dem Sexus) zu tun haben.

„Im Deutschen hat ein Mädchen kein Geschlecht, eine Rübe dagegen schon“, klagte er. „Welch eine übermäßige Hochachtung vor der Rübe und welch eine kaltherzige Missachtung des Mädchens!“ Er verfasste nach seiner Reise den allerdings humorvoll geschriebenen Essay „The Awful German Language“, dessen deutscher Titel „Die schreckliche deutsche Sprache“ zum Schlagwort oder Schlagetotwort geworden ist.

Wir verfeinern und würzen unsere Sprache

Wir verfeinern und würzen unsere Sprache und erst recht unsere Literatur mit Stilfiguren, Floskeln, Redensarten, Sprichwörtern und – ja auch mit Partikeln, die keineswegs „die Läuse im Pelz der Sprache“ sind, sondern den Sätzen häufig das letzte Aroma geben. Beschäftigen wir uns heute mit den Redensarten, sozusagen mit den prägenden Beilagen eines Textes.

Nehmen wir einen Sportreporter, der im Interview mit einem ausländischen Spieler den deutschen Zuhörern „All or nothing“ anschaulich mit „Nun geht es um die Wurst“ übersetzt, aber bei der Rückübersetzung ins Schlingern gerät. Er versucht es mit „It goes around the sau­sage now“ und wundert sich, dass Ausländer die deutsche Sprache und den deutschen Fußball für leicht plemplem halten. Was im Deutschen geht, geht im Englischen noch lange nicht.

Redensarten und ihre Bedeutungen

In diesem Fall verstanden die meisten Beteiligten „nur noch Bahnhof“. Wieso Bahnhof? Diese Redensart soll sich auf die Soldaten am Ende des Ersten Weltkriegs beziehen, die die Nase voll hatten und auf den Heimtransport mit dem Zug warteten. Bei jeder Ansprache und Durchhalteparole wollten sie „nur noch Bahnhof verstehen“, um endlich nach Hause fahren zu können.

Dafür war es „allerhöchste Eisenbahn“. Dieser Ausruf stammt aus einer Posse aus der ersten Zeit des Eisenbahnverkehrs, als es noch kein Neun-Euro-Ticket, dafür aber überpünktliche Züge gab. Noch weiter zurück reicht die Herkunft der Redewendung „Das schlägt dem Fass den Boden aus“. In Bayern wurde 1516 das Reinheitsgebot erlassen, das genau festlegte, dass das Bier nur Gerste (Malz), Hopfen und Wasser enthalten dürfe. Dieses Gebot wurde streng kontrolliert, und wer dabei erwischt worden war, dass er etwas anderes ins Bier gepanscht hatte, dem wurde brutal mit der Axt der Boden aus dem Fass geschlagen, und das Bier lief aus. Bei ihm waren also „Hopfen und Malz verloren“ – im übertragenen Sinne: Alles war schiefgegangen.

Die Betroffenen waren „auf den Hund gekommen“. Wer sich kein Pferd oder Esel als Zugtier leisten konnte, spannte einen Hund vor den Karren. Wer „am Hungertuch nagte“, hatte nach heutiger Bedeutung nichts zu essen. Das Hungertuch wurde am Aschermittwoch in katholischen Kirchen vor den Altar gespannt, um den Beginn der Fastenzeit zu symbolisieren. Es mag sein, dass das Fasten mit dem Hunger verknüpft wurde, doch hier ist „nähen“ zu „nagen“ verballhornt worden. Die ursprünglich schlichten Tücher wurden im Laufe der Jahre mit Stickereien und Aufnähern christlicher Motive versehen (genäht).

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