Die Gesamtheit aller Wörter einer Sprache nennt man den Wortschatz. Der Umfang des deutschen Wortschatzes lässt sich nur schätzen. Konrad Adenauer (1876–1967), der Alte von Rhöndorf und erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, soll mit 500 Wörtern ausgekommen sein. Jedenfalls behauptete das sein politischer Gegenspieler, der 1952 gestorbene SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher. Offenbar ließ sich mit wenigen wortkargen, aber schlagkräftigen Parolen eher eine Wahl gewinnen als mit komplizierten Parteiprogrammen.
Der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe hat angeblich 90.000 verschiedene Wörter in seinen Werken benutzt. Wahrscheinlich kannte er noch mehr, denn er stammte aus Frankfurt am Main, wo sich bekanntlich besonders viele kluge Köpfe hinter den Seiten noch klügerer Zeitungen finden.
„Rechtschreibduden“ enthält 147.000 Grundformen
Die 28. Auflage des Dudens, Band 1, des sogenannten „Rechtschreibdudens“, enthält 147.000 Grundformen. Im Allgemeinen setzt sich der aktuelle Wortschatz der deutschen Gegenwartssprache aus 300.000 bis 500.000 Wörtern in ihren Grundformen zusammen. Der aktive Vorrat eines deutschen Deutschsprechenden wird auf 12.000 bis 16.000 Grundformen geschätzt, darunter 3500 Fremdwörter. Ohne Schwierigkeiten verstanden werden rund 50.000 Wörter. Die Abgrenzung ist teilweise schwierig. Das Wort „Bypass“ dürfte allgemein bekannt sein, aber sollten wir auch die „Kryästhesie“ (Kälteempfindlichkeit) zum täglichen Sprachgut zählen?
Sprachschätze werden in verschiedenen Korpora gesammelt, in Belegen für unterschiedliche Wörter, Texte und Schriften. Am bekanntesten ist „das“ Dudenkorpus – „das“ Korpus? „Der“ Korpus bedeutet das Grundteil eines Möbelstücks oder der Klangkörper eines Saiteninstruments, „das“ Korpus jedoch sprachwissenschaftlich eine Belegsammlung. In dem Satz: „Wer täglich das tut, was täglich getan werden muss, hat viel zu tun“, trifft das Verb „tun“ auf verschiedene Wortformen (Flexionsformen). Als Lexem (Wörterbucheintrag) sollte es jedoch nur einmal in der Grundform aufgenommen werden. Der Duden besitzt allerdings ein Korpus aller Wortformen mit mehreren Milliarden Einträgen.
Die Wörter, die der Duden der Öffentlichkeit präsentiert, werden sorgsam ausgewählt. Die Zeiten, als jede Sprachspielerei des „Spiegel“ oder jeder Druckfehler des „Mannheimer Morgen“ gleich zu einem Stichwort gerann, sind vorbei. Heute muss ein Wort, das in den Duden will, in einer gewissen Häufigkeit über einen längeren Zeitraum in verschiedenen Textsorten und Medien aufgetreten sein. Eintagsfliegen wie „Drei-Häuser-plus-ein-Pub-Ortschaft“ haben keine Chance. Auch die „Latte-macchiato-Mama“ dürfte etwas für das Lexikon der Szenensprache sein.
Die meisten Neuerwerbungen haben Migrationshintergrund
Neue Wörter vergrößern zwar den Wortschatz, aber keineswegs den deutschen Anteil daran. Die meisten Neuerwerbungen besitzen einen Migrationshintergrund und haben lediglich notgedrungen die deutsche Sprachbürgerschaft bekommen. Es gibt besonders auf dem Gebiet der globalen Informations- und Computertechnik kaum noch deutsche Bezeichnungen.
- Das Deutsche ins Licht der Öffentlichkeit gerückt
- Manchmal reicht ein Blick in den Duden
- Ab und zu ist es besser, kein Komma zu setzen
Je größer der Fremdwörteranteil im Korpus der deutschen Sprache ist, desto gefährdeter sind die alten deutschen Erbwörter. Von „Eidam“ (Schwiegersohn), „Oheim“ (Onkel), „Muhme“ (Tante) oder „Base“ (Cousine) haben wir uns bereits kurz nach dem Wiener Kongress verabschiedet, der „Hahnrei“ (gehörnter Ehemann) ist zwar keineswegs der Bedeutung, aber dem Wort nach entschwunden, von „beleibzüchtigen“ (lebenslang Unterhalt gewähren) spricht heute niemand mehr, und sogar der „Selbstwählferndienst“ oder das „Lichtspielhaus“ – technische Wunder meiner Jugendzeit – sind reif fürs Museum.
Damals sprachen wir auch noch vom „Backfisch“ (Teenager), „Steckenpferd“ (Hobby) und einem zwanglosen Fest (Party). Versuchten Sie das heute, gerieten Sie in Verdacht, senil, wenn nicht gar dement zu sein. Solche Wörter bekommen erst den Zusatz „veraltend“, dann „veraltet“. Sie werden schließlich zur Löschung freigegeben und im „Wortfriedhof“ entsorgt.
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