Hamburg. Was macht Hamburg aus? Die Elbe, der Michel – und dann fällt allen, wie schon im Lied von Hans Albers, St. Pauli, die Freiheit, ein. Das vielleicht berühmteste Vergnügungsviertel lockte mit Laster, Lust und Licht. Nun wird es dunkel. Seit Anfang September sollen Leuchtreklamen ab 22 Uhr dunkel bleiben, Denkmäler nicht mehr angestrahlt werden. Die Lichter der Großstadt, die zum monumentalen Mythos der Metropolen gehören, sie leuchten nicht mehr.
Wir leben in finsteren Zeiten. Und finster wird das Geschäft auch für viele Betreiber auf dem Kiez – die Bars und Bierschwemmen, die Klubs und Kabaretts, die Theater und Travestie-Shows. Hamburgs geiler Meile, nach zwei Jahren Corona ohnehin in der Dauerkrise, wird der Stecker gezogen.
Krise wird als Mittel zum Zweck benutzt
Nun ist es zweifelsfrei sinnvoll, in Deutschland angesichts eines unsicheren Winters Energie zu sparen. Es drängt sich aber der Eindruck auf, dass manche mit ihren Sparambitionen noch eine eigene Agenda verfolgen – eine Agenda des Verzichts, der verordneten Askese und der ökologischen Korrektheit. Wer Waschlappen, kalte Duschen, das Aus für den Dom und Fleischverzicht predigt, hat sicher recht, wenn er auf das Energiesparen verweist. Aber vielleicht nutzt er dabei auch die Krise als Mittel zum Zweck.
Sparen sollten die Bürger vor allem an dem, was manchen schon immer ein Dorn im Auge war – und da geht es den neuen Pietisten vorrangig um Todsünden wie Völlerei, Wollust, Gier. Sie dulden keine Werbung mehr, die nachts die Stadt erleuchtet, keine Kneipenreklame, kein Flutlicht für Fußballspiele, keinen Neonschein der Vergnügungsviertel. Man hätte eigentlich erwarten dürfen, dass Hamburg als Hauptstadt der Werber, als Metropole der Kultur und des Vergnügens gegen diesen neuen Pietismus opponiert, den der Bund verordnet hat. Immerhin: In Hamburg wird das Gebot kaum kontrolliert
Ein Meiler kann bis zu vier Millionen Haushalte versorgen
Denn der Beitrag des Licht-Ausknipsens hält sich in Grenzen. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung RWI hat einmal für den WDR überschlagen, was die Ersparnis bei digitalen Leuchtreklamen bundesweit ausmacht. Die Forscher kamen auf einen Verbrauch von 113.000 Megawattstunden. Das entspricht dem Verbrauch von knapp 40.000 Zwei-Personen-Haushalten.
Das klingt nach einer ganzen Menge, relativiert sich aber schnell. Eines der drei verbliebenen Atomkraftwerke, die wir hierzulande angeblich ab Neujahr nicht mehr benötigen, schafft fast das Hundertfache: Ein Meiler kann bis zu vier Millionen Haushalte versorgen. Insgesamt ist die Ampel bereit, mit den drei Atomkraftwerken Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 jeweils rund 11.000 Gigawattstunden Strom aus dem Netz zu nehmen. Was sind schon 33.000 Gigawattstunden gegen die Ersparnis von 113.000 Megawattstunden?
Deutschland hat ein Problem mit Grundrechenarten
Offenbar hat dieses Land ein massives Problem mit den Grundrechenarten und Grundkenntnissen in Physik. Aber diese Defizite gleichen wir noch immer locker mit einem Übermaß an Ideologie aus. Es ist an der Zeit, die ideologischen Gräben aus früheren, besseren Zeiten zu verlassen. Sonst wird der nationale Kraftakt nicht gelingen. Wir müssen Energie sparen und zugleich alle verfügbaren Energien, auch die ungeliebten, einsetzen. Die Herausforderungen des Winters wird die deutsche Gesellschaft nur meistern, wenn alle über ihren Schatten springen. Wirtschaftsminister Habeck scheint gewillt. So werden auch die Bürger am Ende eher bereit sein, die Stecker zu ziehen und notfalls die Waschlappen zu bemühen.
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