Meinung
Leitartikel

Mitten im Hochsommer: Plötzlich Flüchtlingskrise

| Lesedauer: 3 Minuten
Der Autor ist Chefreporter der Lokalredaktion des Abendblatts.

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Foto: Monika Drews / HA

Hamburg braucht bei Unterkünften schnelle Entlastung – und einen Plan. Der Wohnungsmarkt stellt bei der Suche ein großes Problem dar.

Hamburg. Das Gefühl ist wieder da, sagen sie in der Verwaltung. Hektisch suchen sie nach Flächen, jeder Halle oder jedem Hotel, in dem noch Menschen untergebracht werden können. Selbst Zelte sind kein Tabu mehr. Eigentümer, die der Stadt noch Immobilien anbieten, rufen Mondpreise auf und verkaufen das ernsthaft als Nächstenliebe oder Full-Service-Paket. „Alles immer mehr so wie 2015/2016“, heißt es dazu knapp in Beamtenkreisen.

Hamburg steckt im Hochsommer wieder in einer Flüchtlingskrise, plötzlich. Jetzt gleich von Staatsversagen zu sprechen wäre falsch. Deutlich hat Innensenator Andy Grote (SPD) schon im Frühjahr vor einer historischen Herausforderung gesprochen. Lange wurden Reserveunterkünfte für den erneuten Ernstfall vorgehalten und nach Kriegsbeginn in der Ukraine schon jede bezahlbare Möglichkeit für weitere Standorte genutzt.

Hamburg muss besonnen handeln

Das alles reicht einfach nicht mehr. Hätten nicht so viele Hamburger Privatleute selbst Geflüchtete aufgenommen, wäre das System wohl schon kollabiert. Nun könnte es trotz aller Bemühungen in einigen Tagen oder Wochen so weit sein. Und jetzt? Muss die Stadt schnell, aber besonnen handeln. Wir alle uns darauf einstellen, dass es nicht nur um eine Notsituation, sondern eine langfristige Aufgabe handelt. Und auch der Bund der Stadt dabei helfen, eine vernünftige Basis zu schaffen.

Das bedeutet konkret: Hamburg braucht Entlastung. So schnell wie möglich. Neuankömmlinge müssen in großer Zahl, wenn nicht vollständig, auf andere Bundesländer verteilt werden. Zwar hat die Stadt bislang kaum mehr Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen, als sie das nach dem Königsteiner Schlüssel muss. Sie hat aber auch besondere Probleme als Großstadt.

Wohnungsmarkt sorgt für Probleme

Das wohl größte ist der Wohnungsmarkt. In den Folgeunterkünften sitzen noch Zehntausende Geflüchtete aus vorigen Jahren und anderen Ländern, die noch keine eigene Bleibe gefunden haben und so schnell nicht finden werden. Die Zahl der Bewohner stieg seit Kriegsbeginn nun bereits um ein Drittel und könnte im Herbst bei 50.000 Menschen liegen. In den Containerdörfern ist schon jetzt jeder Platz belegt, nichts geht mehr.

Es ist eine ungewohnte Rolle für Hamburg, auf die Solidarität anderer bauen zu müssen, sich aus der Patsche helfen zu lassen. Aber alles andere wäre unvernünftig. Mehr Turn- und Baumarkthallen für Notquartiere anzumieten als unbedingt nötig ist ebenso horrend teuer wie unwürdig für Menschen, die nach den Erlebnissen im Krieg auch Ruhe und ein bisschen Privatsphäre verdient haben.

Welle der Willkommenskultur hält an

Die Aufgabe, nach der Bewältigung des akuten „Ausnahmezustands“ genügend mittel- und langfristige Unterkünfte zu schaffen, wird zudem fordernd genug. Auch hier darf sich die Stadt von Eigentümern nicht über den Tisch ziehen lassen. Die Flächen müssen zudem nicht nur erst gefunden werden, sondern auch für den Fall funktionieren, dass die Geflüchteten aus der Ukraine eben nicht bald wieder in ihre Heimat gehen (können). Ja, angesichts der Lage in Teilen der Ukraine sprechen wir auch über Integration.

Positiv ist, dass die Welle der Willkommenskultur bislang weniger schnell abebbt und nicht in Hass und Spaltung mündet, wie das nach 2015 der Fall war. Aber die Warnungen, wie herausfordernd Herbst und Winter auch für die Gesellschaft werden könnten, sind unbedingt ernst zu nehmen. Hilfsbereitschaft darf sich nicht nur auf bestimmte Gruppen, etwa Frauen mit Kindern, beziehen. Und die größten Herausforderungen durch den Krieg in der Ukraine stehen in Hamburg erst bevor.

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