Meinung
Deutschstunde

Ein großer Wagen ist nicht der Große Wagen

| Lesedauer: 4 Minuten
Peter Schmachthagen
Peter Schmachthagen schreibt im Abendblatt wöchentlich über die Tücken der deutschen Sprache. Mails bitte an deutschstunde@t-online.de.

Peter Schmachthagen schreibt im Abendblatt wöchentlich über die Tücken der deutschen Sprache. Mails bitte an deutschstunde@t-online.de.

Foto: dpa/ Klaus Bodig

Und die sozialen Medien sind nicht immer sozial. Ein paar Stolpersteine zur Groß- und Kleinschreibung.

Hamburg. Eine Leserin aus Bremen hat nach der 863. Folge endlich meine „Deutschstunde“ entdeckt, meinte allerdings, zum Lesen bleibe ihr wenig Zeit, sie habe aber einige Fragen zur Rechtschreibung. Sie zitierte mehrere sich widersprechende Schreibweisen aus der dortigen Tageszeitung und bat um Aufklärung. Da wir Hamburger den Bremern seit Jahrhunderten behilflich sind, auf die Höhe der Zeit zu kommen, verzichtete ich auf meine sonstige Bemerkung, dass ich Sprachautor, aber keine Sprachauskunft sei, und nahm mich ihrer Probleme an.

Sie fragte, wie der Begriff „Soziale/soziale Medien“ geschrieben werde. In vielen Texten (auch bei dpa) sei die Schreibweise klein – also „soziale Medien“: „Ist es nicht ein Eigenname? Die Medien sind ja nicht im herkömmlichen Sinne sozial – im Gegenteil!“ Selbstverständlich wird der Begriff „soziale Medien“ kleingeschrieben. Es handelt sich um keinen Eigen­namen, sondern um ein ganz gewöhn­liches Adjektiv (Eigenschaftswort) als Attribut (als eine Beifügung) zum Substantiv (Hauptwort) wie in „digitale Medien“ oder „öffentliche Medien“.

„Sozial“ bedeutet in diesem Sinne „gesellschaftlich“

Bei „sozial“ müssen wir nicht gleich an Hubertus Heil und die nächste Marge aus dem Bundeshaushalt zur Milderung einer Teuerung denken, die die Regierung selbst erst durch Steuern und Abgaben verteuert hat. „Sozial“ bedeutet in diesem Zusammenhang also nicht „gemeinnützig“ oder „wohltätig“, sondern „gesellschaftlich“, die „gesamte Gesellschaft oder die Gemeinschaft betreffend“. Wir schreiben auch soziale Frage, soziale Sicherheit, sozialer Wohnungsbau, soziale Netzwerke und sogar die soziale Marktwirtschaft klein. Bei diesen Beispielen haben wir es mit keinen Eigennamen zu tun.

Nehmen wir einmal die „erste Hilfe“ oder „Erste Hilfe“ als analoge Schreibweise. Groß oder klein? Wenn Unfallzeugen den Verunglückten „erste“ Hilfe leisten, dann leisten sie Hilfe im Rahmen ihrer Möglichkeiten, weil sie die Ersten am Unfallort sind. Wer jedoch in „Erster Hilfe“ ausgebildet ist, hat die Vorschriften, Hilfsmittel und Maßnahmen in einem Bereich gelernt, der im Sanitätsdienst eindeutig abgegrenzt ist und einen großgeschriebenen Eigennamen trägt.

Der Große Wagen ist ein Eigenname

Nächste Frage: Heißt es „3. große Strafkammer“ oder „3. Große Strafkammer“? „Groß“ wird hier zwingend großgeschrieben. „Groß“ ist in diesem Fall kein Adversativ (Gegensatz) zu „klein“, sondern bezeichnet die Steigerung der juristischen Hierarchie mit größerem Strafrahmen bei der Aburteilung von Verbrechen. Die Kammer ist in ihrer Zusammensetzung, in ihren Aufgaben und ihrer Zuordnung ein genau zurechenbares Unikat und trägt somit quasi einen Eigennamen.

Mit den verschiedenen Schreibweisen von „groß“ und „klein“ ließe sich ein ganzes Schuljahr füllen. Der große Wagen, mit dem der Bauer den Mist fährt, ist austauschbar (klein), der Große Wagen als Sternbild am Himmel ist hingegen ein Eigenname (groß). Das Gleiche gilt für die zu große Mauer am Nachbargrundstück (klein) wie für die Große Mauer in China (groß). Wir müssen immer prüfen, ob es sich um etwas Einmaliges (Unikat) oder um etwas Mögliches oder Austauschbares handelt.

„Große“ Koalition ist eine tatsächlich gebildete Regierung

Die Schreibweisen der „großen Koalition“ oder der „Großen Koalition“ für ein Regierungsbündnis aus Union und SPD gehen häufig durcheinander. Eine „große“ Koalition ist ein möglicher Zusammenschluss, eine „Große“ Koalition eine tatsächlich gebildete Regierung mit bestimmten Ministern/-innen in einem bestimmten Parlament während einer bestimmten Legislaturperiode, etwa: „Bei diesem Wahlergebnis bleibt nur die Bildung einer großen Koalition [klein]“, aber: „Die Große Koalition mit Angela Merkel als Kanzlerin und Olaf Scholz als Vizekanzler hat nach der Bundestagswahl im September keine Zukunft mehr.“

Übrigens werden die Verben „großschreiben“ und „kleinschreiben“ zusammengeschrieben, wenn wir einen großen oder kleinen Anfangsbuchstaben bezeichnen wollen, aber getrennt geschrieben, wenn es sich um die Schriftgröße handelt: Die Lehrerin hat das Wort an der Tafel groß geschrieben (in großer Schrift), es dabei aber großgeschrieben (mit großem Anfangsbuchstaben).

deutschstunde@t-online.de

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Meinung