Hamburg. Eines muss man dem HSV lassen: Obwohl der Club nun schon viermal in Folge beim Versuch scheiterte, sportlich ins Rampenlicht der Ersten Liga zurückzukehren, darf der Bundesligadino a. D. vor dem Neustart am Montag guten Gewissens für sich reklamieren, im Unterhaltungssegment noch immer zur nationalen Spitzenklasse zu gehören. Was war in dieser kurzen Sommerpause nach der verlorenen Relegation nicht alles im Volkspark los?
Ein hausgemachter Führungsstreit (den Aufsichtsratschef Marcell Jansen als Erfindung der Medien abtat). Die öffentliche Degradierung eines Sportdirektors, die es in dieser Form nur selten im deutschen Profifußball gegeben hat. Ein handfester Millionen-Streit zwischen Club und Stadt. Und dazu noch jede Menge Geschichten und Geschichtchen rund um die Geschäftsstelle, die – ganz nebenbei – natürlich viel zu groß sei und schnellstmöglich rationalisiert werden müsste.
Was sportlich für den HSV spricht
Fast könnte man vergessen, dass von Montag an wieder der Ball im Volkspark rollt und dass – rein theoretisch – die Chancen aufzusteigen in diesem Jahr so gut wie noch nie zu sein scheinen. Grund Nummer eins: Der HSV startet mit dem Rückenwind von fünf Siegen in Folge im Saisonendspurt in die neue Spielzeit. In der Rückrunde waren nur die beiden Aufsteiger Bremen und Schalke besser. Und wenn es stimmt, dass starke Rückrundenmannschaften oft eine ordentliche Folgesaison spielen, dann scheint auch der HSV beste Chancen in der kommenden Spielzeit zu haben. Vor allem auch wegen Grund Nummer zwei: der Eingespieltheit.
Der HSV startet erstmals in der Zweiten Liga mit demselben Trainerteam in die neue Saison – und auch ein Großteil der bisherigen Leistungsträger bleibt Trainer Tim Walter und Co. erhalten. Zum Vergleich: Die Bundesliga-Absteiger Fürth und Bielefeld müssen sich mit neuen Trainern und neuen Mannschaften erst einmal finden. Womit wir auch schon bei Grund Nummer drei wären: Aus der mutmaßlich besten Zweiten Liga aller Zeiten wird nach den Aufstiegen von Werder und Schalke die mutmaßlich ausgeglichenste Zweite Liga aller Zeiten. Einen echten Krachergegner müssen die Hamburger jedenfalls nicht mehr fürchten.
Degradierung Michael Mutzels kostete Ansehen
Der Hauptgegner der Hamburger bleibt ohnehin auch in der kommenden Saison: man selbst. Es ist nicht zu erkennen, dass die beiden Vorstände Jonas Boldt und Thomas Wüstefeld endlich an einem Strang ziehen würden. Noch schlimmer: die unwürdige Degradierung Michael Mutzels, die den HSV bundesweit Ansehen gekostet hat. Der Sportdirektor darf nach dem Trainingsstart weder der Mannschaft noch dem Trainer zu nah kommen. Wie in so einem Umfeld professionelles Arbeiten möglich sein soll, müssen die Verantwortlichen noch immer plausibel erklären.
Doch an dieser Stelle soll nicht verschwiegen werden, dass es auch gute Nachrichten aus dem Volkspark für die leidgeplagten Fans gibt. Denn die Anhänger, die seit Jahren nach Kontinuität lechzen, dürfen sich dem Vernehmen nach über eine ganze Reihe von Verträgen freuen, die zeitnah verlängert werden sollen: die Verträge von Cheftrainer Tim Walter und seinem Team, der Vertrag von Sportvorstand Boldt und der Vertrag von Mit-Vorstand Thomas Wüstefeld.
HSV: Unstimmigkeiten müssen behoben werden
Ein Hoch auf die Kontinuität. Der einzige Schönheitsfehler: Es ist eine Kontinuität, die schon jetzt zum Scheitern verurteilt ist. Denn nur wenn die Unstimmigkeiten, die es nach offizieller Lesart ja gar nicht geben soll, nach inoffizieller Darstellung aber gravierend sein müssen, behoben werden, ergeben auch Vertragsverlängerungen Sinn. Sonst darf man die Uhr danach stellen, wann es das nächste Mal kracht und dann die nächste Abfindung fällig ist.
Denn in Sachen Abfindungen – schöne Grüße an die Ex-HSV-Profis David Kinsombi, Toni Leistner, Khaled Narey, Bobby Wood, Gideon Jung, David Bates und Ewerton – ist der HSV schon jetzt genauso in der Spitzengruppe dabei wie in Sachen Unterhaltungswert. Und mit Torhüter Marko Johansson darf sich der nächste HSVer auf eine fürstliche Abfindung freuen. In diesem Sinne: Alles Gute zum Trainingsstart – und eine gute Saison!
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