Hamburg. Meine Herren, ich hätte da mal eine Frage: Angenommen, unser schönes Deutschland würde angegriffen, massiv und militärisch – würden Sie sich freiwillig melden, ein Gewehr in die Hand nehmen und die Eindringlinge erschießen? Oder lieber mit dem Neun-Euro-Ticket Richtung Westen? Liebe Väter, würden Sie Ihre Söhne ermutigen, in den Krieg zu ziehen? Und, liebe Partnerinnen, Mütter, Schwestern, Tanten, Omas – wie stehen Sie dazu? Mit den Kindern fliehen oder Molotowcocktails basteln?
Absurde Fragen? Das dachten die Menschen in der Ukraine auch, bis vor drei Monaten. Da war jene ferne Zeit, als wir, durchaus zu Recht, über toxische Männlichkeit geredet haben, über breitbeinige Gewalt und hierarchisches Führen und bekloppten Heldenkult. Eben diese toxische Männlichkeit feiern wir gerade: Da ist die, wenn auch ausgedachte Geschichte vom geheimnisvollen Wunderbomber, der quasi im Alleinflug die russische Luftwaffe erledigt haben soll, wir bewundern die Kämpfer aus dem Stahlwerk, die bis zur letzten Kugel ausharrten, und verehren Wolodymyr Selenskyj, der sich „Munition und keine Mitfahrgelegenheit“ in sichere Gefilde wünscht.
Gesellschaft verfällt in archaischste Rollenmuster
Gleichzeitig hat man noch nicht gehört, dass die Quote auch im Schützengraben zu gelten habe. In Kriegszeiten verfällt eine Gesellschaft blitzschnell in archaischste Rollenmuster. Frauen und Kinder in Sicherheit, Männer beschützen, notfalls mit ihrem Leben, wofür sie, wie seit Tausenden von Jahren, zu Helden hochgesungen werden. Die Überlebenden vererben ihre Traumata.
Ist der Krieg eine derartige Ausnahmesituation, dass Geschlechterdebatten dort nicht gelten? Oder sollte sich eine zeitgemäße Diskussion erst recht an extremen Situationen messen? Nein, keine Witzchen zu bezopften Vegetariern mit Lastenfahrrad, sondern die ernste Frage, was dieser, was jeder Krieg bedeutet für eben noch erbitterte Streitereien über biologische, soziale oder konstruierte Geschlechter. Womöglich steht auch hier eine Zeitenwende an, wohin auch immer.
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