Hamburg. Alle neun Begegnungen der Fußball-Bundesliga fänden am kommenden Sonnabend, dem 34. und letzten Spieltag der Saison, „zeitgleich“ statt, verkündete ein Reporter im Fernsehen. Wir wollen nicht allzu pingelig sein, sonst könnte ich die Reportagen der kostenpflichtigen Streaming-Dienste wie DAZN, Prime Video, RTL+ und die Verpuppung der „Bild“-Zeitung in einen Fernsehsender nicht ertragen, ohne vor Verzweiflung in den Monitor zu treten – immer vorausgesetzt, dass zum Bild überhaupt ein Ton ankommt.
Es ist schon eine besondere Nervenprobe, die jahrelangen Amokläufe von Lothar Matthäus auf Sky wider die deutsche Sprache zu ertragen, sodass die Miet- und Nebenerwerbsmoderatoren in den Apps die Sammlung negativer Beispiele ja nicht noch vergrößern müssen.
Deutschstunde: Unterschied zwischen „zeitgleich“ und „gleichzeitig“
Selbst auf die Gefahr hin, mir nun als Retourkutsche die Bezeichnung eines senilen Besserwissers einzufangen, erlaube ich mir, doch ein bisschen pingelig zu werden. Die Spiele sollen selbstverständlich nicht „zeitgleich“, sondern „gleichzeitig“ ausgetragen werden. „zeitgleich“ bedeutet, dass zwei oder mehrere Ereignisse mit der bis auf die Sekundenbruchteile identischen Zeit enden, ohne „gleichzeitig“ stattgefunden haben zu müssen. Die beiden Vorläufe waren „zeitgleich“, wiesen die gleiche gemessene Siegerzeit auf, ohne „gleichzeitig“ stattgefunden zu haben. Sie waren hintereinander gestartet worden.
Auch die Mitteilung, der gefoulte Spieler, der gerade mit der Trage vom Rasen entfernt wird, habe sich das Wadenbein „mehrmals“ gebrochen, ist hier falsch. Wahrscheinlich ist das Wadenbein gerade „mehrfach“ gebrochen worden, aber es kann natürlich sein, dass dieser Spieler die gleiche (nicht: dieselbe) Verletzung in den vergangenen Jahren bereits „mehrmals“ erlitten hat.
Partizip II wird von „winken“ schmerzlich vermisst
Dass ich seit Jahrzehnten in Fußballreportagen nie mehr das korrekte Partizip II von „winken“ gehört habe, nehme ich inzwischen hin wie ein Naturereignis. An den Seitenlinien findet ein pausenloses „Gewunke“ statt. Mit wichtiger Stimme erklärt uns der Reporter am Mikrofon, der Linienrichter habe eben Abseits „gewunken“. Wenn meine Rente und Honorar es zuließen, würde ich einen Preis aussetzen für den Linienrichter, der als Erster Abseits „gewinkt“ hat. Als ich kürzlich in der „Tagesschau“, von den Ausführungen eines hier nicht genannten Politikers ein bisschen weggedöst, die Form „gewinkt“ hörte, war ich plötzlich hellwach und beschloss, diese überraschend korrekte Konjugation bei meiner nächsten Stimmabgabe zu berücksichtigen.
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Nein, bitte nicht! Stürzen Sie nicht zu Ihrem Mailprogramm, um mir mitzuteilen, der Duden sage auch „gewunken“. Das sagt er nicht! Der Rechtschreibduden gibt nur die korrekte Rechtschreibung für eine grammatisch falsche Form an. Es existieren schließlich zahlreiche Falschparker in unserer Sprache, die ins Wörterbuch schauen, um zu wissen, wie sie ihren Wagen auf dem Radfahrweg der Grammatik abstellen können. Ansonsten pflegen die meisten Wörterbücher zum Stichwort „winken“ weiterzuleiten. Das ist so, als ob Sie Brötchen beim Fischmann kaufen wollen und den Hinweis erhalten: Gehe zum Bäcker!
Der Anglizismen-Trend: Ist Deutsch uncool?
Was ist eigentlich eine Box? Selbst der Rechtschreibduden bietet eine Fülle an Erklärungen: Behälter; Pferdestand; Unterstellraum; Montageplatz bei Autorennen; frühere einfache Kamera; kurz für Lautsprecherbox. Das alles schien nicht zu passen, als ich während einer Fußballübertragung den Satz hörte: „Ganz Stuttgart hat sich in der Box versammelt.“ Alle 635.000 Stuttgarter Einwohner in einer kleinen Schachtel? Nein, alle elf Spieler des VfB Stuttgart im eigenen Strafraum, sodass die Multimillionäre des FC Bayern München vor lauter fremden Beinen den Weg zum Tor nicht fanden.
Sie gaben sich allerdings auch keine besondere Mühe und betrieben das, was man als Wettbewerbsverzerrung zuungunsten von Hertha BSC Berlin bezeichnen kann. „Box“ ist ein neuer Anglizismus, der so schön kurz und cool klingt, dass der eine ihn dem anderen nachplappert. Früher sagten wir „Strafraum“ oder „Sechzehner“ dazu, und das reichte für ein Jahrhundert. Aber das wäre deutsch und nicht cool, denn Deutsch befindet sich auf dem Rückzug.
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