Der offene Brief zu Putins Krieg mag nicht jeden überzeugen – aber er hat das Fenster zur nötigen Debatte aufgerissen.

Man muss Alice Schwarzer dankbar sein: Der in der „Emma“ vor einer Woche veröffentlichte offene Brief von 28 Intellektuellen und Künstlern für mehr Besonnenheit war ein überfälliger Zwischenruf. Man muss nicht mit jeder Zeile einverstanden sein, aber die Unterzeichner machen einen Punkt: Sie fordern uns auf, innezuhalten, sie kühlen die Hitze der Erregung unserer Tage, sie bremsen die Büffelherde der Öffentlichkeit, die nach dem Überfall Putins immer schneller in eine Richtung zu stürmen schien. Und sie geben jener Hälfte der Bevölkerung eine Stimme, die bislang kaum vorkam: Menschen, die daran zweifeln, dass immer mehr schwerere Waffen für die Angegriffenen wirklich segensreich sind.

Die erste Reaktion auf den Brief der 28 war so erwartbar wie bitter: „Wellen des Hasses“ überrollten die Unterzeichner. Der renommierte Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel erzählt im „Tagesspiegel“, was sie sich im Netz anhören mussten: „Mörder, Befürworter der Vergewaltigungen der russischen Soldateska oder auch einfach naiv, ahnungslos oder ewig gestrig.“ Und er fügt fassungslos hinzu: „Erstaunlich, dass sich daran auch Journalisten mit Klarnamen beteiligten.“