Hamburg. Nach knapp zwei Jahren in der Pandemie wissen wir immer noch viel zu wenig darüber, wie Menschen ticken und was sie bewegt.

Eine gute Freundin ruft an. Wir mögen uns, schon lange. Sie klagt, dass sie diskriminiert werde. Weil sie ihr Recht wahrnehme, sich nicht impfen zu lassen, werde ihr alsbald der Zugang zum öffentlichen Leben verwehrt: Restaurants, Museen, Behörden. Wir tauschen bekannte Argumente aus: das Drama auf den Intensivstationen, Kimmich, Land ohne Regierung, Impfdurchbrüche, Spanien, Statistiken. Wir stimmen überein, dass wir nicht übereinstimmen.

Aber wir fassen einen Entschluss: keine Wut, kein Werten, kein Basta. Wir wollen im Gespräch bleiben. Nicht leicht. Immer diese Emotionen. Ein befreundeter Arzt ruft an. Er berichtet von Patienten, die sich vor der Impfung fürchten. Er lässt sich von den Sorgen erzählen, auch wenn die Krankenkasse solche Gespräche nicht honoriert. Resultat: Angst wird weniger, wenn sie ausgesprochen wird. Andernfalls kann diese Angst zu Wut und Trotz werden. Gespräch beendet, bevor es begonnen hat. Was hilft eine Impfpflicht, wenn Millionen Aufgebrachte dann zivilen Ungehorsam üben und sich weigern?