Hamburg. Wir Journalisten sind ja emotional ziemlich verkarstet, abgebrüht und sarkastisch. Aber manchmal macht sich doch noch Rührung breit. Eine Regierungschefin hockt auf der Tribüne, weil sie nicht mehr Abgeordnete ist. Zwei künftige Ex-Ministerpräsidenten geben gerade die Dienstwagen zurück und gehen unter im Gewusel.
Ein Mehrfachminister, bis eben Parlamentspräsident und fast 50 Jahre dabei, rollt zurück in die Fraktion und reiht sich ein. Nie zuvor zogen so viele Neue und Jüngere in den Bundestag ein, der jetzt von vier Frauen und einem Quotenmann befehligt wird, dem Kampfknochen Kubicki. Die demokratische Maschine fasziniert doch immer wieder.
Demokratie besteht auch aus friedlichem Abwählen
Wir sind 80 Millionen Bundestrainer, Virologen und auch sonst Expert/-innen für alles Mögliche, Spezialgebiet Besserwissen. Alle vier Jahre malen wir ein paar Kreuze auf Zettel, woraus wenig später diese bunten Truppen zusammengestellt werden, die da jetzt im Bundestag sitzen. Frühere Anführer reihen sich klaglos ein, andere steigen auf, Neues beginnt.
Der Wert der Demokratie besteht nicht nur im Wählen, sondern vor allem im friedlichen Abwählen von Anführern, die das Votum idealerweise respektieren. Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Altmaier, beide Noch-Minister, verzichten zugunsten Jüngerer sogar auf eine weitere Runde im Parlament. Gut so. Anderswo akzeptieren Wahlverlierer nicht mal ihre Niederlage.
Zum Glück gibt es Politiker
Ja, es gibt viel zu kritisieren; der wunderbare Roger Willemsen hat dazu einst viel Bedenkenswertes notiert. Eine Reform ist überfällig, aber immerhin wird sie kommen.
Diäten hin, Nebengeschäfte her – ich bin froh, dass sich immer wieder Menschen finden, die Politik zum Beruf machen, obgleich der Vertrag im Bundestag auf vier Jahre befristet ist. Menschen, die sich durch lästige Details wühlen, die sich und ihre Nächsten beschimpfen lassen und mit Anti-Demokraten eine Kantine teilen müssen. Ehrlich: Das Maulen vom Spielfeldrand ist da wesentlich komfortabler. So, und jetzt an die Arbeit. Netter wird’s nicht mehr.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Meinung