Meinung
Leitartikel

Kinder impfen! Sonst droht im Herbst wieder Fernunterricht

| Lesedauer: 4 Minuten
Lars Haider ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.

Lars Haider ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.

Foto: Andreas Laible

Ständige Impfkommission sagt, dass eine Covid-Infektion für über Zwölfjährige meist harmlos verlaufe. Vakzine gibt es dabei bald genug.

Hamburg. Geht Ihnen das auch so? Irgendwie passen die offiziell veröffentlichten Zahlen über die Geimpften in Deutschland nicht mit den privaten Erfahrungen zusammen. Ich zumindest treffe kaum noch auf Menschen, die nicht glücklich erzählen, dass sie mindestens einmal geimpft sind. Das mag an meinen persönlichen Kontakten liegen, zeigt jedoch anekdotisch, wie fortgeschritten die Impfkampagne ist – und dass wir jetzt, übrigens wie von der Politik und diversen Experten angekündigt, an einen entscheidenden Punkt kommen.

Im Juli dürfte sich bei den Vakzinen das Verhältnis von Angebot und Nachfrage zum ersten Mal umkehren; spätestens am Ende des Monats sollte jeder Bürger, der älter als zwölf Jahre ist, die Möglichkeit gehabt haben, sich impfen zu lassen. Und dann zählt es: Nach dem Ende der Sommerferien in Hamburg und Schleswig-Holstein werden wir erstmals ein Gefühl dafür haben, wie viele Menschen im Norden nicht zu einer Impfung bereit sind – Umfragen sagen 20 bis 25 Prozent voraus.

Delta-Variante verbreitet sich schnell

Weil man dann noch die Altersgruppen dazurechnen muss, für die Impfstoffe bisher nicht zugelassen sind – also Kinder unter zwölf Jahren –, kann es sein, dass bis Herbstanfang „nur“ um die 70 Prozent der Menschen in Hamburg und Umgebung vollständig geimpft sind. Das klingt viel, könnte angesichts der sich schnell verbreitenden Delta-Variante des Coronavirus aber nicht ausreichend sein. Deshalb braucht die Impfkampagne noch mal einen neuen Schub. Hamburg hat, ziemlich spät, gestern den nächsten Schritt getan und auch die Priorisierung in den Impfzen­tren aufgehoben. Das führt hoffentlich mit den für Juli angekündigten Lieferungen von Biontech, Moderna und Co. trotz Ferien zu einer neuen Impfwelle.

Begleitet werden müssen die nächsten zwei Monate erneut von einer breiten Aufklärung der Bevölkerung über die Vorteile und die Risiken des Impfens. Die lassen sich jetzt, da auf der Welt Millionen Menschen die Impfstoffe bekommen haben, viel besser und auf einem viel größeren Fundament überzeugender darstellen als noch zu Beginn des Jahres.

Kernaussage von Christian Drosten

Kernaussage bei allem ist ein Satz, den der Virologe Christian Drosten geprägt hat und der seitdem häufig von anderen Medizinern und Politikern zitiert worden ist. Er lautet: Jeder Mensch wird innerhalb der nächsten Zeit mit dem Coronavirus in Kontakt kommen – entweder bei einer Infektion oder bei einer Impfung. Und: Je mehr Menschen geimpft sind, desto größer ist die Gefahr, sich mit dem Virus zu infizieren, bei jenen, für die das nicht gilt.

Womit wir bei den Schülerinnen und Schülern sind, die unter Corona gelitten haben wie wenige andere und die wohl auch nach den Sommerferien mit Masken in ihren Klassenräumen sitzen müssen. Den über Zwölfjährigen hatte man vonseiten der Politik bis zum Beginn des neuen Schuljahrs ein Impfangebot versprochen, und tatsächlich könnte dieses auch eingehalten werden: Der Impfstoff ist zugelassen, die angekündigten Lieferungen vielversprechend.

Fehlende Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission für Kinder

Was den Prozess hemmt, ist die fehlende Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission für Kinder. Die Stiko sagt, dass eine Covid-Infektion für über Zwölfjährige meist harmlos verlaufe. Was für die bisherigen Varianten des Virus richtig sein mag – aber auch für Delta?

In Großbritannien etwa steigen die Infektionszahlen gerade in den jüngeren, ungeimpften Altersgruppen rapide. Das sollte man in Deutschland verhindern, wenn man nicht erstens schwere Verläufe bei Kindern provozieren und zweitens eine Rückkehr zum Wechsel- oder Fernunterricht im Herbst verhindern will. Und das geht nur, wenn möglichst alle, die geimpft werden können, auch geimpft werden. Je eher, desto besser.

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