Hamburg. Die gesamten Formen des Konjunktivs, der Möglichkeitsform, lassen sich nicht in einer Folge der „Deutschstunde“ abhandeln. Es ist einfacher, den Konjunktiv zu bilden, als ihn auf seinem bevorzugten Spielfeld, der indirekten Rede, den Regeln entsprechend auflaufen zu lassen. Einige Leser meinen, die Form „gewönne“ sei falsch, es müsse „gewänne“ heißen, da der Konjunktiv II von der Präteritumform „gewann“ gebildet werde.
Das ist so weit richtig, nur gibt es eben mehrere altertümliche Formen bei der Konjugation, bei der Beugung der Verben, die wie eine knorrige Eiche in der modernen Sprache stehen geblieben sind. Und wie die Eiche in der Dorfmitte eine Tatsache ist, so ist „gewönne“ ebenso richtig wie „gewänne“. Altmeister Wolf Schneider dürfte eine klammheimliche Freude daran haben, an dieser Stelle eine Wortbildung mit viel Patina zu finden, die die meisten Leser spontan wegwischen wollen, obwohl sie nach dem Willen des Autors nicht weggewischt werden darf.
Nicht nur das Verb „gewinnen“ schleppt zwei Konjunktiv-Formen mit sich herum. Das gilt auch für zahlreiche andere Verben, etwa für „befehlen, rinnen, gelten“ und „spinnen“. Selbst bei „stehlen, heben, dreschen, stehen“ und „schwimmen“ könnten wir ungestraft ins Alte greifen und zum Beispiel „stünde“ statt „stände“ oder „schwämme“ statt „schwömme“ sagen.
Die Form „bräuchte“ gibt es in keinem Tempus oder Modus
Gänzlich der einfachen Gebrauchsanweisung zur Bildung des Konjunktivs II entziehen sich die Verben, die im älteren Deutsch einen anderen Stammvokal im Indikativ Singular als im Indikativ Plural hatten, etwa „ich warf“, aber „wir wurfen“. Während sich die Indikativform angeglichen hat („wir warfen“), blieb der (umgelautete) Vokal der alten Form im gesamten Konjunktiv II erhalten: würfe, stürbe, verdürbe.
Wir sehen, die Formen des Konjunktivs II der starken (!) Verben mit a, o oder u haben im Unterschied zum Indikativ einen Umlaut. Das gilt jedoch nicht für die schwachen (!) Verben. Die kennen im Konjunktiv II keinen Umlaut. Demnach heißt es „brauchte“, und das bitte nur so, und nicht etwa „bräuchte“. Die Form „bräuchte“ gibt es in keinem Tempus oder Modus!
Die Zeitform des Plusquamperfekts, der Vorvergangenheit, drückt eine Handlung oder eine Tatsache aus, die – salopp gesagt – bereits vergangen war, bevor die Vergangenheit (Präteritum oder Imperfekt) überhaupt begann. Es besteht aber nicht der geringste Grund, bei einer fortdauernden Tatsache in der Vergangenheit einen Purzelbaum rückwärts ins Plusquamperfekt zu schlagen.
Lücke im System der Konjugation
„Mein Mann hatte bis zu seinem Tod Ischias gehabt“ oder „Die Kasse war gut gefüllt gewesen, als der Täter die Tankstelle betrat“. Wieso „gehabt“ und „gewesen“? Der Mann „hatte“ Ischias, und die Kasse „war“ gefüllt. Natürlich gibt es auch eine Vorzeitigkeit in der Vergangenheit: Ich „hatte bereits gegessen“, als Vater nach Hause „kam“. Diese Vorzeitigkeit der Vergangenheit lässt sich in der indirekten Rede jedoch schwer ausdrücken. Wenn eine Handlung in der Vergangenheit abgeschlossen ist, bevor die nächste Handlung in der Vergangenheit beginnt, dürfen wir ausnahmsweise das „Doppelplusquamperfekt“ benutzen.
Im Abendblatt stand folgender Satz: „Der Polizeisprecher sagte, einer der [toten] Jugendlichen habe eine Lehre als Schornsteinfeger begonnen ‚gehabt‘ und hätte die Gefahr erkennen müssen.“ Da die „Vorvergangenheit“ in der indirekten Rede mit den üblichen Konjunktivformen nicht auszudrücken ist, darf hier die Lücke im System der Konjugation durch das Partizip II „gehabt“ ausgefüllt werden. Die Lehre dauerte ja nicht an, sondern war, wenn auch durch den tragischen Tod des Auszubildenden, in der Vergangenheit abgeschlossen worden.
Nicht immer steht in der indirekten Rede konsequent der Konjunktiv
Nicht immer steht in der indirekten Rede konsequent der Konjunktiv. Er steht nicht, wenn der Redner die Rede eines Dritten zwar im Konjunktiv wiedergibt, diese Wiedergabe aber durch eigene Einschübe oder Bemerkungen unterbricht. Dann wechselt er zur besseren Unterscheidung in den Indikativ: Vater berichtete, Opa habe gesagt, er müsse zu Hause bleiben, weil Oma krank „sei“ (Konjunktiv, Opa wird zitiert), aber: … weil Oma mal wieder krank „ist“ (Indikativ, Papa lästert).
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Meinung