Meinung
Leitartikel

Senat kommt nicht um Ausgangssperre herum

| Lesedauer: 4 Minuten
Lars Haider,
Chefredakteur
des Hamburger
Abendblatts.

Lars Haider, Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.

Foto: Andreas Laible

Wenn man nach den Treibern der Pandemie sucht, landet man bei privaten Treffen. Der Senat sollte handeln. Am besten heute.

Hamburg. So ungeschickt sich die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sowie die Bundeskanzlerin bei ihrem vorerst letzten gemeinsamen Treffen angestellt haben, so geschickt, um nicht zu sagen: raffiniert stellen sie sich in der aktuellen Krisenkommunikation an.

Ob ein Konzept dahintersteckt, kann man nicht sagen, aber das Prinzip schimmert durch: Jeden Tag erklären mehrere Politiker, wie schwer die dritte Welle werden wird, was an ungeheuren Infektionszahlen auf das Land zurollt und dass am Ende sogar Supermutanten drohen könnten, gegen die keiner der Impfstoffe mehr wirkt.

Ausgangssperren sind das beste Mittel, um Kontakte zu verhindern

Wenn dann Angela Merkel allein bei Anne Will sitzt, was sie bekanntermaßen nur in Ausnahmefällen tut, ist die Atmosphäre für das bereitet, was unwillkürlich kommen wird und muss: Ausgangssperren, die in Deutschland – und nicht nur hier – natürlich unpopulär sind, die aber einen entscheidenden Effekt auf die Corona-Entwicklung haben können.

Sie sind das beste Mittel, um Kontakte zwischen verschiedenen Haushalten zu verhindern. Und allein darauf kommt es, zumindest für noch einmal zehn bis 14 Tage, jetzt an, ob uns das gefällt oder nicht.

Private Treffen sind ein Pandemie-Treiber

Denn wenn man nach den Treibern der Pandemie und nach den Gelegenheiten sucht, bei denen sich das Virus am stärksten und einfachsten verbreitet, landet man eben nicht in den Unternehmen oder der Geschäftswelt, wie es interessierte Kreise gern hätten – sondern bei privaten Treffen. Wissenschaftler der TU Berlin haben untersucht, welche Bereiche wie sehr zur Entwicklung der Pandemie beitragen.

Dabei sind sie davon ausgegangen, dass die in Deutschland derzeit vorherrschende britische Mutation B 1.1.7 auf eine Reproduktionszahl von 1,3 kommt. Dieser Wert setzt sich wie folgt zusammen: 0,5 Punkte entfallen auf Kontakte von Mitgliedern eines Haushaltes, die naturgemäß unvermeidbar und, viel wichtiger, nicht veränderbar sind. Jeweils 0,2 Punkte machen Kontakte in Innenräumen von Schulen und Betrieben aus, die man durch eine Kombination von Schnelltests, Maskenpflicht, Homeoffice und Wechselunterricht auf nahezu null senken kann.

Großbritannien als Vorbild

Bleiben die Kontakte zwischen verschiedenen privaten Haushalten, die nach den Erkenntnissen mit 0,6 Punkten am stärksten zum R-Faktor beitragen und die mindestens halbiert werden müssen, um die dritte Welle abzubremsen. Vor allem dies soll mit Ausgangssperren ab 20 oder 21 Uhr erreicht werden – und es funktioniert, wie das Beispiel Großbritannien in den vergangenen Wochen eindrucksvoll gezeigt hat. Man muss es nur einmal ausprobieren.

Der Hamburger Senat wird das in dieser Woche mit großer Sicherheit machen. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) behagt die Unentschiedenheit der deutschen Corona-Politik schon lange nicht mehr.

Ein erneuter Lockdown ist unumgänglich

Er weiß als Mediziner, dass ein erneuter Lockdown unumgänglich ist, er sieht die große Mehrheit der Bevölkerung hinter und eine Situation vor sich, die für ein erneutes Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens wie gemacht ist: Die Osterfeiertage unterbrechen unseren normalen Rhythmus so oder so, es wäre nahezu fahrlässig, sie nicht in eine Lockdown-Strategie zu integrieren – in anderen Bundesländern schließen sich die Schulferien an. Besser geht es aus epidemiologischer Sicht nicht.

Deshalb wäre es am besten, wenn der Senat bereits heute entsprechende Schritte beschließen und verkünden würde. Natürlich kann man auch noch einmal versuchen, sich mit Nachbarländern, insbesondere mit Schleswig-Holstein, abzustimmen. Doch erstens ist die Infektionslage dort gänzlich anders als in Hamburg, und zweitens verliert man dadurch weitere Zeit. Wie sagt man bei uns so schön: Je eher daran, desto eher davon. Gewartet haben wir lange genug.

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