Hamburg. Überfüllte Kneipen, tanzende Nachtschwärmer … Nicht schon wieder! Gastronomen haben in der Corona-Krise erneut für negative Schlagzeilen gesorgt: „Bezirksamt schließt Bars. Corona-Auflagen missachtet.“ In der Nacht von Sonnabend auf Sonntag musste Falko Droßmann (SPD), Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte, ein zweites Mal auf dem Kiez durchgreifen: In rund zehn von 20 bis 25 Läden hatten seine Beamten massive Verstöße festgestellt.
Zwei Läden ließ der Bezirks-Chef sofort schließen, und in zwei weiteren wurde mindestens die Hälfte der Besucher zum Gehen aufgefordert. Dutzende Gäste verschwanden während der Kontrollen mitunter durch Hintertüren – offenbar hatten die Türsteher ihre Kollegen per Handy gewarnt. „Katastrophale Zustände“, sagt Droßmann.
Partygänger bringen die Gastronomen um Kopf und Kragen
Doch sind an dieser Misere einzig die Gastwirte und ihr Personal schuld? Nein. Es sind vor allem die Partygänger, welche die Gastronomen um Kopf und Kragen bringen. Sie sitzen dicht an dicht, waschen sich nach dem Toilettengang nicht gründlich die Hände, tanzen und lassen die Maske zusammengefaltet in der Hosentasche stecken. Ob aus Vergesslichkeit, Coolness oder Rebellion, sie verletzten die AHA-Regeln: Abstand halten, Hygiene wahren, Alltagsmaske tragen. Und werfen dadurch einen tiefschwarzen Schatten auf das ohnehin getrübte Image der Kiezwirte. Das ist alles andere als sozial.
Genauso schlimm sind die diejenigen, die sich zwar an die AHA-Regeln halten wollen, dann aber keine Konsequenzen ziehen: Statt Sitznachbarn dazu aufzufordern, mehr Abstand zu halten, an ihren Verstand zu appellieren, bleiben sie sitzen, bleiben stumm. Sie machen sich so mitschuldig – auch dann, wenn sie innerlich das Verhalten der Regelwidrigen verurteilen. Machen sie so weiter, könnten sie das nächtliche Treiben erneut zum Erliegen bringen – und Existenzen zerstören.
Viele Wirte kämpfen um ihre Existenzgrundlage
Schwarzmalerei? Angesichts der steigenden Corona-Zahlen und des tatkräftigen Einschreitens anderer großer Städte wohl kaum: Beispielsweise erwägt München, die Öffnungszeiten der Gastronomiebetriebe zu verkürzen. Schwappt dieser Tatendrang auch zum Senat über, hätte das dramatische Auswirkungen für die Hamburger Kneipenszene. Im Ernstfall könnte der Senat auch gleich den Alkoholausschank verbieten, was einem zweiten Lockdown für Gastrobetriebe gleichkäme. Mit solchen Lösungen ist niemandem geholfen – nicht den Gastronomen, nicht den Partygängern. Und Corona-Leugner würden wohl einen neuen Zulauf feiern.
Wer nun argumentiert, dass die Geschehnisse vom Wochenende ohne das Einverständnis der Gastronomen nicht entstanden wären, hat die Kernbotschaft überlesen: Viele Wirte kämpfen um ihre Existenzgrundlage, wollen die roten Zahlen des Sommers wettmachen und unterliegen der Versuchung, zu viele Menschen einzulassen. Das ist falsch, aber nachvollziehbar. Der erhobene Zeigefinger darf daher nicht nur in die Richtung der Gastronomen deuten. Er sollte auf jene gerichtet werden, bei denen der Aha-Effekt hinsichtlich der AHA-Regeln ausgeblieben ist, die das Dilemma der Betriebe ausnutzen und alle anderen Partygänger schlecht aussehen lassen.
Was hilft? Strenge Geldstrafen. Das tut weh, hat sich aber in der Vergangenheit bei der Hochbahn als wirksam erwiesen: Durch Kontrollen und sofortiges Kassieren konnte die Zahl der Masken-Verweigerer schnell gesenkt werden. Das wäre auch für die Kneipenszene eine tolle Lösung. Bleibt der Status quo erhalten, wird die Barszene in großen Teilen den AHA-Muffeln zum Opfer fallen.
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