Meinung
Deutschstunde

Auch Adjektive können schrecklich sein

| Lesedauer: 4 Minuten
Peter Schmachthagen
Der Verfasser ist Sprachautor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Kolumne erscheint dienstags.

Der Verfasser ist Sprachautor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Kolumne erscheint dienstags.

Foto: Klaus Bodig / HA

Besonders dann, wenn man sie deklinieren muss. Mark Twain lernte es nicht und schimpfte auf die deutsche Sprache

Manchmal reicht ein ungewöhnliches Adjektiv in einer Sprachkolumne, um den Text zum Gesprächsstoff in Familie oder Büro zu machen. Da ich mich vor einer Woche leicht spöttisch über die Formulierung „eingefleischte Vegetarier“ ausgelassen und diese Fügung zur Contradictio in Adjecto (Widerspruch im Hinzugefügten) erklärt hatte, nahm der Posteingang unerwartet stark zu.

Ich staune, wie viele Fragen und Erlebnisse mit der Wortart „Adjektiv“ verbunden sein können, die ich unmöglich alle privatissime beantworten kann. Ich verstehe mich ohnehin eher als Autor denn als Sprachauskunft, auch wenn ich mich über die mir zugedachte Kompetenz freue und Aussagen über meine „Deutschstunde“ als „das Beste am Abendblatt“ zwar kollegial zurückweisen muss, aber gerne zugebe, dass sie mich im Magen kitzeln.

Immerhin habe ich den Eindruck gewonnen, dass über die Adjektive, die bereits unzählige Male Thema in den bisherigen Folgen waren, erneut einige Feststellungen getroffen werden sollten. Vereinfacht ausgedrückt: Adjektive ergänzen Substantive (Hauptwörter) mit einer Eigenschaft. Deshalb nennt man sie auf Deutsch auch Eigenschaftswörter. Es handelt sich also um ein Wort, das ein Wesen oder Ding, ein Geschehen, eine Eigenschaft oder einen Umstand als mit einem bestimmten Merkmal, mit einer bestimmten Eigenschaft versehen kennzeichnet (Duden). Es ergänzt einen Ausdruck, malt ihn an oder tönt ihn ab, gibt ihm Farbe, Geschmack oder Bedeutung.

Das einfache Wort „der Tag“ sagt noch nicht aus, wie wir diesen Tag gefühlt oder verbracht haben. Ein „schöner“ Tag deutet hingegen darauf hin, dass an dem Tag zumindest individuell nichts Schlimmes passiert ist, ein „heller“ Tag, dass der Regen eine Pause gemacht hat. Das Eigenschaftswort „hell“ ist zum Hauptwort „Tag“ lat. ad- (hinzu) und lat. iacere (werfen), also „hinzugeworfen, hinzugefügt“ worden. Deshalb lautet der Fachbegriff „Adjektiv“. Beim „hellen“ Tag oder „schönen“ Tag sind die Adjektive Beifügungen – fachsprachlich Attribute. Also stehen die Adjektive bei diesen Beispielen in attributiver Stellung. Das ist nicht immer so. Hieße der Satz „Der Tag ist schön“, wäre „schön“ ein Prädikativ. Das Hilfsverb „ist“ kann allein kein vollständiges Prädikat (Satzaussage) bilden. Es benötigt das Adjektiv „schön“ zur Vollendung der Aussage.

In dem Satz „Der Tag verläuft schön“ haben wir es mit einem Adverbial, mit einer Ergänzung des Vollverbs durch ein Adjektiv, zu tun. Bei der Formulierung „Der Tag verläuft“ fehlte etwas. Das Adjektiv in adverbialer Stellung übernimmt hier die Funktion eines Adverbs (Umstandswortes), ohne dadurch, wie man früher meinte, selbst zum Adverb geworden zu sein. Adverbiale und Prädikative stehen fest als Glied im Satz. Sie werden nicht dekliniert. Schon wieder ein Fachbegriff! Die Beugung (Flexion) der Substantive, Adjektive, Pronomen und Zahlwörter nennt man „Deklination“, die Beugung der Verben (Zeitwörter) dagegen „Konjugation“. Ein Adjektiv in attributiver Stellung, also als Beifügung vor einem Substantiv, wird dekliniert, und wie!

Die Adjektiv-Deklination gilt als eine der größten „Gemeinheiten“ der deutschen Grammatik, jedenfalls für Ausländer. Als der weltbekannte amerikanische Schriftsteller Mark Twain 1878 nach Deutschland kam und nebenbei Deutsch lernen wollte, scheiterte er vor allem an der Beugung der Adjektive. Er schimpfte: „Wenn der Deutsche ein Eigenschaftswort in die Finger bekommt, dann dekliniert er es und hört nicht auf, es zu deklinieren, bis der letzte Rest vom Verstand fortdekliniert ist.“ Mark Twain gab seiner Reisebeschreibung einen Essay mit dem Titel „The Awful German Language“ bei, der übersetzt „Die schreckliche deutsche Sprache“ lautet und zum Schlagwort geworden ist für alle diejenigen, die das Deutsche nicht verstehen können oder nicht verstehen wollen.

Unter Umständen gehöre auch ich dazu. Ich tue es nicht gern, aber ich muss die heutige Folge ausnahmsweise als Einleitung für die Fortsetzung am nächsten Dienstag stehen lassen. Die Erklärung der Adjektive lässt sich nicht in drei Schlusszeilen pressen, besonders wenn Adjektive dauernd die Formen wechseln wie Chamäleons die Farben.

deutschstunde@t-online.de

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