Hamburg. Beim Holocaust-Gedenken in diesen Tagen haben sich viele Menschen gefragt: Wie wird es sein, wenn alle Überlebenden von Auschwitz, Buchenwald und Neuengamme gestorben sind? Wie wird es sein, wenn die Zeitzeugen nicht mehr da sind und sie nicht mehr ihre Stimmen erheben können, während das Böse wieder aus dem noch heute fruchtbaren Schoß kriecht?
Es wird der Tag kommen, da keiner mehr von ihnen unter uns ist. Dann werden wir, die nachfolgenden Generationen, ohne sie die Erinnerung daran wachhalten müssen, wozu Menschen unter ideologischer Verblendung schlimmstenfalls fähig sind.
Einen Tag nach dem kollektiven Auschwitz-Gedenken haben sich nun fünf Fraktionen der Hamburger Bürgerschaft in einem gemeinsamen Antrag explizit für den Wiederaufbau der Synagoge am früheren Bornplatz (heute Joseph-Carlebach-Platz) ausgesprochen. Sie haben erstmals ein klares Zeitfenster für die Machbarkeitsstudie markiert und vorgeschlagen, dass sich auch die Hamburger Bürger mit Spenden am Wiederaufbau an Ort und Stelle beteiligen könnten.
Dieser Vorstoß aus der Bürgerschaft ist eine gute Nachricht mitten im Holocaust-Gedenken, weil er aus der Vergangenheit einen Weg in die Zukunft weist. Jeder neue Bau ist eine Verheißung künftiger Zeiten, in denen er stehen, Behausung, Schutz und Raum zum Leben geben kann. Wenn das Bethaus in vielleicht fünf bis sechs Jahren nach alten Plänen und mit neuen Akzenten wieder aufgebaut ist, bietet es der wachsenden jüdischen Gemeinde in Hamburg einen sakralen Ort, der ihr Selbstbewusstsein und ihre Identität stärkt und fördert.
Sollte dazu auch ein Tagungszentrum gehören, würden nicht zuletzt auch interreligiöse Begegnungsräume entstehen. Und selbstverständlich strahlt ein solcher Bau im neoromanischen Stil weit über den Standort im Grindelviertel hinaus. Er würde sogar Touristen aus dem In- und Ausland anlocken – und Gäste jüdischen Glaubens sowieso.
Auch wenn es noch keine Spendenaktion gibt, so ist doch schon jetzt klar: An der Frage der Finanzierung wird der Wiederaufbau nicht scheitern. Bereits der Bund hatte binnen kurzer Zeit 600.000 Euro für eine Machbarkeitsstudie bereitgestellt. Wer die Stiftungslandschaft in der Hansestadt, das Engagement der Mäzene und die Spendenbereitschaft der Hamburger kennt, wird keinen Zweifel haben: Der zweistellige Millionenbetrag wird zusammenkommen. Es sollten sich im Übrigen nicht nur Bürger aufgefordert sehen, einen Spendenbeitrag zu leisten. Während der NS-Zeit gab es deutsche Unternehmen, die in die Vertreibung, Verfolgung und Vernichtung der Juden verstrickt waren und an den Geschäften mit den Nazis verdient hatten. Die heutigen Eigentümer stehen in besonderer ethischer Verantwortung dafür, dass jüdisches Leben in Deutschland einen festen Platz hat.
Längst ist es in Hamburg bunt und vielfältig geworden. Neben der orthodoxen Gemeinde, deren Zentrum einst die Bornplatz-Synagoge war, gibt es eine Liberale Jüdische Gemeinde. Sie hat in der Hansestadt ebenfalls eine lange Tradition. Diese Religionsgemeinschaft darf beim Ziel, die von den Nazis zerstörte Bornplatz-Synagoge wiederaufzubauen, nicht vergessen werden. Denn sie hat bis heute keinen festen Ort zum Beten, Versammeln und Feiern. Den braucht sie aber dringend.
An der Eröffnung der wiederaufgebauten Bornplatz-Synagoge werden wohl kaum noch Holocaust-Überlebende teilnehmen können. Aber es werden viele junge Familien mit ihren Kindern da sein. Ein Zeichen der Hoffnung und der Zukunft.
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