In unserer Facebook-Demokratie reduzieren wir komplexe Debatten auf ein „Gefällt mir“: So ersetzen Gefühle die Vernunft.

Wäre es Helmut Schmidt vergönnt gewesen, 100 Jahre alt zu werden, man würde ihn allzugern zur Politik dieser Tage befragen. Was würde der Langenhorner zur Emotionalisierung des Politischen, zum hysterischen Diskurs und zu den schrillen Debatten sagen? Er stand stets für einen nüchternen Politikansatz, schickte Visionäre flapsig gern mal zum Arzt und kritisierte seinen Vorgänger Willy Brandt scharf, weil dieser der „Illusion“ anhänge, auch in der Politik Stimmungen und Gefühlen folgen zu dürfen.

Schmidt dürfte es heute schwer haben. Der politische Diskurs ist in einem Maße stimmungs- und gefühlsgeleitet, dass die Vernunft mitunter unter die Räder gerät. Leicht zerknirscht blicken viele Politiker und Medienschaffende auf die grenzenlose Flüchtlingsbegeisterung der Herbsttage des Jahres 2015. „Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt“, jubilierte damals Katrin Göring-Eckardt. „Refugees Welcome“ titelten die Rote Flora und die „Bild“-Zeitung. Das war alles gut gemeint, hat aber im Überschwang den Blick auf mögliche Probleme verstellt. Genutzt haben das Ausländerhasser und Rassisten für sich, die die Urangst vor dem Fremden heraufbeschworen, Zuwanderer kriminalisierten und in den sozialen Netzwerken Gruselgeschichten verbreiteten. Mehr Verstand und weniger Gefühl hätten geholfen, die Spaltung des Landes zu verhindern.