Die Gerichte haben die rechte Demo am 9. November erlaubt. Das ist schwer erträglich, zeigt aber, dass der Rechtsstaat funktioniert.

Es sind keine leichten Entscheidungen, die die Berliner Gerichte in diesen Tagen und Wochen treffen müssen. Es geht um einige der höchsten Güter der Demokratie, die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit.

Am Freitag musste erst das Verwaltungsgericht, später das Oberverwaltungsgericht entscheiden, ob an Berlins Hauptbahnhof ein Aufmarsch von 250 Rechtsextremen verboten werden darf. Innensenator An­dreas Geisel (SPD) hielt es für unerträglich, dass ausgerechnet am 9. November, dem Tag des Erinnerns an die Reichspogromnacht, die Rechten unter dem Motto „Trauermarsch für die Toten von Politik“ durch Berlin ziehen. Geisel ließ die Demonstration durch die Polizeipräsidentin verbieten. Politisch verstehen kann man den Innensenator schon. Es ist schrecklich, wenn Rechtsextreme die Freiheiten der Demokratie missbrauchen, um ihre menschenverachtenden Parolen zu skandieren. Aber das eine ist die Politik, das andere der Rechtsstaat.

Denn in der Demokratie gehören Meinungs- und Demonstrationsfreiheit zu den wichtigsten Grundsätzen. Das hat das Verwaltungsgericht auch deutlich gemacht. Selbst wenn es einem politisch nicht passt und es angesichts der deutschen Geschichte unerträglich erscheint, kann eine Demonstration von Rechtsextremen nur verboten werden, wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt. Sie müssen derart sein, dass von der „Versammlung Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen werden“, so das Gericht. Die Versammlung könne nur verboten werden, wenn sie eine eindeutige Stoßrichtung gegen das Gedenken am 9. November erkennen lasse. Das konnte die Polizei nicht nachweisen. Das heißt: Die Demonstrationsfreiheit darf nicht eingeschränkt werden. Sie gilt auch für Rechtsextremisten. Selbst am 9. November. So entschied dann auch das Oberverwaltungsgericht.

Extremistischen Umtrieben ist mit Verboten nicht zu begegnen

Das Urteil war zu erwarten. Schon mehrmals haben Innenverwaltung und Polizei versucht, Aufmärsche von Extremisten – sei es von rechts oder wie am 1. Mai von links – juristisch zu verhindern. Sie sind fast immer gescheitert. Die Extremisten durften, wenn auch unter Auflagen, demonstrieren. Den rechts- und linksextremen Umtrieben ist mit Demonstrationsverboten nicht beizukommen. Vielmehr muss die Zivilgesellschaft Radikalen entgegentreten. Das tut sie häufig mit Gegendemonstrationen – oder mit einem selbstbewussten Auftreten, wie Lea Rosh. Die Publizistin verhinderte, dass ein AfD-Politiker mit einer blauen Kornblume am Revers, dem Erkennungszeichen der Nazis in Österreich, die Namen von jüdischen Opfern am Holocaust-Mahnmal verlesen konnte.

Am Freitag wurde übrigens auch der Verhandlungstermin in der Sache AfD gegen den Regierenden Bürgermeistervor dem Verfassungsgerichtshof bekannt gegeben. Am 16. Januar geht es darum, ob der Regierende Bürgermeister einen Tweet abschicken durfte, in dem er die Demonstranten einer Anti-AfD-Kundgebung lobte. Müller sprach von einem „eindrucksvollen Signal für Demokratie und Freiheit“ – ohne die AfD zu erwähnen. Die Partei sieht aber ihre Rechte verletzt, weil der Inhaber eines Regierungsamtes bei Äußerungen in amtlicher Funktion zur Neutralität verpflichtet ist. Müller macht geltend, dass er nicht gezielt gegen die AfD getwittert habe, sondern ein darüber hinausgehendes Anliegen gutgeheißen habe. Die Richter müssen entscheiden. Aber sie sollten bedenken: Gerade die Inhaber von hohen Regierungsämtern müssen sich für die Demokratie starkmachen dürfen. Es geht hier um die Freiheit, die Freiheit zu verteidigen.