Berlin. Die große Koalition braucht mehr als Gipfelstürmerbilder. Was Union und SPD jetzt schnell liefern müssen, sind vorzeigbare Ergebnisse.

Die Stimmung scheint bestens: Auf Deutschlands höchstem Berg in fast dreitausend Metern Höhe stehen die drei führenden Politiker der Regierungsfraktionen und freuen sich: über die Sonne, die Natur, sich selbst. Teambuilding, das erklären Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles übereinstimmend, helfe, gute Arbeit und gute Politik zu machen.

Vor allem dem CSU-Politiker Dobrindt kommen die Bilder von der Zugspitze zupass. Er hat in seinen Wahlkreis geladen, und vor der bayerischen Landtagswahl im Herbst kommt der Medienauftrieb in „seinen“ bayerischen Bergen genau recht. So führte er auch schon einen Tag vor der offiziellen Klausur seine Kollegin Nahles auf der Zugspitze herum.

Dobrindt will die AfD von rechts bekämpfen

Bleibt die Frage, wie lange Nahles, aber auch Unionsfraktionschef Kauder gute Miene zum bösen Spiel machen. Dobrindt tritt zurzeit vor allem als Mann der Attacke auf. Seine Zuspitzungen, besonders bei den Themen Flüchtlingspolitik und Islam, sind stets gut vorbereitet und wohlkalkuliert. Er will die AfD vor der bayerischen Landtagswahl von rechts bekämpfen und scheut dabei nur vor wenig zurück.

Auch bei der CDU sieht man dieses Agieren mit Stirnrunzeln, im Merkel-Lager allemal. Also miese Laune, weil Dobrindt am Wochenende von einer „aggressiven Anti-Abschiebe-Indus­trie“ gesprochen hatte? Nein, das belaste das Klima in der Fraktion nicht, sagt die Frau, die auch SPD-Chefin ist.

Die Fraktionen sind die Herzkammer der Regierung

Warum eigentlich nicht? Es ist das eine, zu fordern, dass bei Abschiebungen geltendes Recht anzuwenden und durchzusetzen ist. Es ist etwas anderes, Asylsuchenden das geltende Recht, sich zu wehren, abzusprechen. Selbst CDU-Chef Horst Seehofer fühlte sich bemüßigt, Dobrindts Sätze näher zu erläutern; niemand wolle den Rechtsstaat infrage stellen.

Nun ist es gut, wenn die Regierungsfraktionen Selbstbewusstsein demonstrieren. Sie sind gewissermaßen die Herzkammer der Regierung. Denkt man an die knappe Wahl von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Mitte März zurück, wird deutlich, wie stark die Parlamentarier in die Regierungsarbeit eingreifen können.

Merkel spürt, dass Unions-Abgeordnete nicht blind folgen

Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der CSU.
Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der CSU. © dpa | Angelika Warmuth

Die Unruhe in der Unionsfraktion wegen der Euro-Zonen-Vorschläge des französischen Präsidenten hat auch der Kanzlerin vorgeführt, dass die Unions-Bundestagsabgeordneten ihrer eigenen Regierungschefin bei Gesetzesvorhaben nicht mehr blindlings folgen. Selbst in einer großen Koalition können bei umstrittenen Gesetzesvorhaben die Mehrheiten eine äußerst knappe Angelegenheit werden.

Da braucht es Vorsitzende mit Augenmaß und Selbstbewusstsein, zumal in der letzten großen Koalition häufig der in der Verfassung nicht vorgesehene Koalitionsausschuss als entscheidendes Gremium auftrat. Die Fraktionen verkauften sich damals unter Wert, daher sind die Vorstände beider Parteien diesmal entschlossen, dieser Entwicklung gemeinsam entgegenzutreten.

Vieles ist noch nicht vom Koalitionsvertrag umgesetzt

Doch es braucht trotzdem mehr als die Gipfelstürmerbilder. Denn Union und SPD haben wochenlang in unzähligen Sondierungen und Koalitionsgesprächen verhandelt, herausgekommen ist bereits ein sehr detaillierter Vertrag. Bislang ist jedoch noch nicht viel umgesetzt. Das geplante Baukindergeld nun rückwirkend zum 1. Januar in Kraft zu setzen ist ein Anfang.

Eine Einigung über den Haushalt, Klarheit bei der Flüchtlingspolitik, eine Strategie für Europa, Ideen für die Digitalisierung stehen aus. Wenn das auf der Zugspitze gelingt, hervorragend. Wenn nicht, dann kann man auf diese Bilder auch verzichten.