Brüssel. Die Brexit-Verhandlungen überlagern den EU-Gipfel. Dabei fallen wichtige Fragen der EU hinten rüber. Erfolge treten in den Hintergrund.

Theresa May hat sich also wieder verrechnet. Bei ihren Versuchen schon jetzt ein Handelsabkommen mit der Europäischen Union auszuhandeln, noch bevor der Austritt des Königreichs aus der Union geregelt ist, läuft die britische Premierministerin gegen die Wand: Die anderen 27 EU-Regierungschefs sind in ihrer Ablehnung so geschlossen wie am ersten Tag der Brexit-Ankündigung.

May könnte die Blockade lösen, indem sie endlich konkrete Zusagen vor allem zur britischen Abschlusszahlung macht. Aber selbst wenn die Premierministerin einen Plan hat, was zu bezweifeln ist, dann hat sie nicht mehr die Autorität, ihn umzusetzen.

Selbstbewusstsein der EU steht auf der Kippe

Mit einiger Gnadenlosigkeit lassen die EU-Granden sie ihre Schwäche spüren. Das ist nicht ohne Risiko, denn in London macht sich der Eindruck breit, die EU mit Berlin an führender Stelle wolle Großbritannien in die Knie zwingen. Das ist Unsinn. Niemand hat ein Interesse daran, dass das Königreich den Weg eines ungeregelten Austritts geht. Im Gegenteil: Den Schaden für das Chaos an den Grenzen trüge zum Gutteil die deutsche Wirtschaft.

May hat "ambitionierte" Pläne für Brexit-Verhandlungen

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    Aber hinter dem Beharren von Merkel und ihren Kollegen steht eine ernste Sorge: Die Geschlossenheit der EU, die sie in Brüssel jetzt so feiern, wird durch die Brexit-Verhandlungen früher oder später noch auf eine ernste Probe gestellt. Wird erst über die künftigen Handelsbeziehungen gesprochen, dürften die völlig unterschiedlichen Interessenlagen der Mitgliedstaaten die Front aufweichen. Vorher muss so viel wie möglich geklärt sein. Danach kann es ungemütlich werden auch in Brüssel. Und damit dürften auch die Harmonie und das neue Selbstbewusstsein, das die EU der 27 aus ihrer einheitlichen Position gegenüber London bezieht, in Gefahr geraten. Das ist kein Grund zur Schwarzmalerei, aber zur nüchternen Einschätzung der eigenen Möglichkeiten.

    Was wird aus dem Ost-West-Graben?

    Die Europäische Union sollte bei aller Erleichterung, das schreckliche Krisenjahr 2016 überstanden zu haben, realistisch bleiben – und sich nicht gleich wieder mit großen Reformprojekten überfordern. Noch ist ja nicht einmal der Streit über die Flüchtlingspolitik gelöst, aus Furcht vor neuen Zerwürfnissen und einer Vertiefung des Ost-West-Grabens wird er immer weiter vertagt.

    So sehr die Euro-Zone Instrumente für den Krisenfall und eine bessere Koordinierung braucht, so sehr sind die weitreichenden Reformvorschläge des französischen Präsidenten Macrons nun geeignet, den Spalt in der EU noch zu vertiefen. In Osteuropa wird schon vermutet, Macron schwebe heimlich die Rückkehr zu einem westlichen Kerneuropa vor.

    Unter diesen Bedingungen kein großer Wurf möglich

    Merkel hat mit ihrer Zögerlichkeit, mit der sie die Visionen Macrons beantwortet, völlig recht. Sicher, die Kanzlerin wird spätestens nach den Koalitionsverhandlungen auch selbst ihre Vorstellungen offenlegen müssen. Aber schon jetzt ist doch klar: Auf die Überschriften der Reformpapiere können sich Deutschland und Frankreich noch einigen, inhaltlich bleibt es bei dem Konflikt, den beide Länder nicht nur für sich, sondern stellvertretend für die gesamte EU austragen: Hier die Befürworter von starker Kontrolle und gesunden Staatsfinanzen in der Euro-Zone, da das Lager, das viel mehr staatliche Investitionen und geteilte Haftung fordert.

    Unter diesen Bedingungen sind vielleicht bescheidene Kompromisse möglich, aber sicher kein großer Wurf – ganz gleichgültig, ob in Berlin die FDP zusätzlich bremst oder nicht. Da sollten jetzt in den nationalen Hauptstädten und in Brüssel nicht Erwartungen geweckt werden, die die Europäische Union auf absehbare Zeit nicht erfüllen kann.