Elisa, meine Enkelin, gut zwei Jahre alt, plappert pausenlos und versucht neuerdings Sätze zu bilden. Wenn sie mit mir telefoniert, ahne ich die ersten entfernten Anklänge an die deutsche Syntax. Meine Tochter platzt vor Stolz, zumal die Kindergärtnerinnen angeblich voll des Lobes sind. Wahrscheinlich gehört es jedoch zum Geschäftsprinzip der Kita, jeder Mutter zu bestätigen, was für ein kluges Kind sie habe. Bald wird Elisa gut sprechen können (schließlich handelt es sich um meine Enkelin!), aber um das Gesprochene zu Papier zu bringen, bedarf es des nächsten Schritts. Sie muss in der Schule schreiben lernen.
Ein geschriebenes Wort besteht aus Buchstaben. Ein Buchstabe ist das Zeichen einer Schrift, das einen Laut oder eine Lautverbindung wiedergibt. Ein Morphem (kleinstes lautliches Zeichen) gerinnt auf dem Papier zu einem Graphem (kleinstes bedeutungsunterscheidendes grafisches Symbol), eben zu einem Buchstaben (ursprünglich ein Stab aus Buchenholz mit Runenzeichen).
Da es verschiedene Laute gibt, muss es auch verschiedene Buchstaben zur Wiedergabe dieser Laute geben (wobei die einzelnen Buchstaben lediglich einen Kompromiss darstellen; es gibt weitaus mehr Laute als Schriftzeichen dafür). Im Deutschen sind es 26 (ohne die Umlaute und die Ligatur Eszett).
Um den Überblick zu behalten, ordnen wir diese Buchstaben in einer bestimmten Reihenfolge. Eine solche Ordnung nennt man das Alphabet, von A bis Z oder im Griechischen von A bis O (Alpha bis Omega). Um ein Wort zu schreiben, dürfen wir jedoch nicht willkürlich in die Buchstabenreihe greifen. Die Abfolge der Buchstaben im Wort unterliegt einer konventionellen Verabredung (Regel) zu einer „richtigen“ Schreibweise, zur „rechten“ Schreibung, zur Rechtschreibung, als Fachbegriff Orthografie genannt.
Orthografie ist Schikane!, tönen manche ideologisch beeinflussten Lehrer und gefährden die Zukunft der Erstklässler durch realitätsferne Experimente wie „Lesen durch Schreiben“. Nein, Orthografie kann Spaß machen, wenn sie nur kindgerecht und ohne Zwang unterrichtet wird, wie nicht nur ich erfahren habe (allerdings in Schleswig-Holstein, nicht in Hamburg). Jedes Kind freut sich über das Erfolgserlebnis, ein Wort so geschrieben zu haben, wie es im Buch steht, statt für seine „Kreativität“ angesichts des produzierten Buchstabensalats gelobt zu werden.
Die Rechtschreibung beginnt nicht beim Wort, sondern beim Einzelbuchstaben. Jeder Buchstabe kann für sich allein ein Stichwort im Duden sein. Ziemlich am Anfang der 140.000 Einträge treffen wir auf das A (Buchstabe). Entsprechende Stichwörter haben natürlich auch das B bis hin zum Z. Dabei stellen sich drei Hauptfragen: Wird der Buchstabe groß- oder kleingeschrieben? Wird er gebeugt? Wird er in Zusammensetzungen mit einem Bindestrich versehen?
Wenn ich „der Punkt auf dem I“ schreiben würde, würden Sie irritiert fragen: Und wo ist der Punkt? Eben, auf dem großen I steht gar kein Punkt. Also heißt es „der Punkt auf dem i“. Nur ein kleines i kann einen Punkt haben. Das weist auf die Regel hin: Beziehen wir uns auf einen Kleinbuchstaben, wird er klein zitiert, meinen wir einen Großbuchstaben, so bleibt er groß: Moor mit doppelt o, Mehl mit Dehnungs-h, der Einzelne mit (großem) E, der andere mit (kleinem) a.
Wird ein Einzelbuchstabe mit anderen Wörtern verbunden, so geschieht dies zwingend mithilfe eines Bindestrichs: n-Eck, Super-G, y-Achse, Fugen-s, x-te Wurzel, H-Milch. Auch hier bleibt die Groß- und Kleinschreibung der Einzelbuchstaben erhalten, mit einer Ausnahme: Wenn es lediglich um die Form des Buchstabens geht und die groß wie klein gleich ist, sind beide Schreibweisen möglich: s-förmiger oder S-förmiger Fleischerhaken, o-beinig oder O-beinig, aber nur die O-Beine. Ein weiterer Stolperstein: Die Tongeschlechter Dur und Moll schreibt man groß, bei den zugehörigen Tonarten die Einzelbuchstaben aber verschieden, bei Dur groß, bei Moll klein: in A-Dur, a-Moll-Tonleiter.
In der gesprochenen Sprache neigt man dazu, den Einzelbuchstaben im Genitiv Singular und im Plural ein -s anzuhängen: „des Ts, die Fs“. Das sollten Sie schon mündlich unbedingt vermeiden, wenn Sie kein Zusammenzucken Ihres Gegenübers riskieren wollen, das wäre schriftlich aber ein schlimmer Fauxpas. Einzelbuchstaben bleiben unflektiert. Es heißt: die Verwendung eines H, die zwei P im Satz.
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