Sie müssen erst einmal einen funktionierenden Staat aufbauen. Dazu braucht es Zeit

Die Ankunft in der Realität kann hart sein. Für die neue griechische Regierung etwa, die Stück für Stück erkennen muss, dass sie ihre Wahlversprechen nicht halten kann. Zwar haben Regierungschef Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis es geschafft, die Zusammenarbeit mit der ungeliebten Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission aufzukündigen. Im Prinzip jedenfalls. Die Kontrolleure firmieren jetzt mit derselben Aufgabe unter dem Namen „Institutionen“. Das Reformprogramm, hinter dem viele Griechen ein deutsches Finanzdiktat vermuteten, heißt jetzt „Master Financial Assistance Facility Agreement“, was so viel wie Finanzierungshilfe-Hauptvertrag bedeutet. Um dessen Verlängerung geht es nun. Und das bedeutet weiterhin, Geld gibt es nur gegen weitere Leistungen, sprich Reformen, die die griechische Wirtschaft stärken und die von den Athener Vorgängerregierungen eingegangenen Verpflichtungen nicht verletzen.

Aber auch in den anderen europäischen Hauptstädten dürfte sich Ernüchterung breitmachen. Zwar ist es bisher gelungen, die Reihen geschlossen zu halten. Die Griechen haben für ihren ganz eigenen Kurs keine Verbündeten gewinnen können. Aber Zugeständnisse sind unumgänglich. Allein schon die hastige Verabschiedung der hellenischen Reformliste, deren Details dann noch bis Ende April geprüft werden sollen, noch in dieser Woche wäre nicht nur ein erheblicher Vertrauensvorschuss. Es geht ja um die Verlängerung des am Freitag auslaufenden bisherigen Programms – beziehungsweise Finanzierungshilfe-Hauptvertrags. Also vor allem um Geld.

Und das Vorhaben der Regierungsnovizen in Athen, nun gegen Schmuggel vorgehen zu wollen und den Reichen Steuern abzuverlangen, zeigt einmal mehr, dass Griechenland nicht nur ein Geldproblem hat. Steuern zu erheben und Schmuggel zu bekämpfen gehören zu den Basisaufgaben eines Staates. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Schaffung eines funktionierenden Gemeinwesens in weiten Teilen erst noch bevorsteht. Dass Griechenland derartige Defizite hat, ist wiederum nicht die Schuld der linken Syriza-Regierung, sondern ihrer bürgerlichen Vorgänger. Die haben nicht nur nicht gegen Korruption, Vetternwirtschaft und einen bis ins groteske aufgeblähten Staatsapparat gekämpft, sondern all diese Auswüchse nach Kräften gehegt und gepflegt. Im Übrigen unter den Augen Brüssels und der anderen europäischen Hauptstädte. Der erforderliche Kulturwandel kann jetzt natürlich nicht einfach per abgehakter Reformliste gelingen. Der braucht Zeit. Vermutlich sehr viel Zeit und noch mehr Geduld bei allen Beteiligten. Und weiteres Geld. Zeitgewinn ermöglicht es aber auch Tsipras und den Seinen, sich peu à peu weiter den Realitäten anzunähern und mithilfe neuer Begrifflichkeiten und rhetorischen Geschicks ihre Wählerschaft bei der Stange zu halten.

Dabei bedürfen sie weiter der Unterstützung des restlichen Europas. Auch in dessen eigenem Interesse. Ein bankrottes Griechenland zahlt keine Schulden – auch in 100 Jahren nicht. Ein Austritt oder Rauswurf aus dem Euro wäre nicht das oft zitierte Ende mit Schrecken statt weiteren Schreckens ohne Ende. Es wäre nicht nur ein katastrophaler Imageschaden für die Währungsunion. Sie drohte einerseits von ihren südlichen Rändern her zu erodieren, wenn zu erwartende künftige linke Regierungen etwa in Spanien oder Portugal ebenfalls ihr Heil in der Währungsflucht suchen sollten. Vor allem aber wären die Probleme nicht gelöst. Ein Grieche, der sich für eine Drachme nichts leisten kann, wird nicht glücklicher sein als einer, der sich von der EU gegängelt fühlt – aber wenigstens langfristig eine Perspektive aufgezeigt bekommt. Und die kriselnden Staaten wären auch ohne Euro weiter EU-Mitglieder, denen geholfen werden müsste.