Wird Olaf Scholz am Sonntag allein zur stärksten Partei?

Zwei plus zwei plus zwei. Das ist die Formel für die Bürgerschaftswahl an diesem Sonntag in Hamburg. Denn kurz vor der Entscheidung sind zwei Parteien, die SPD und die FDP, in Umfragen auf dem Weg nach oben. Für zwei andere, die CDU und die AfD, geht es eher in die entgegengesetzte Richtung. Und die letzte Zwei? Die steht für jene beiden Parteien, bei denen der prognostizierte Stimmenanteil sich in den vergangenen Wochen kaum bewegt hat, für die Grünen und die Linken.

Nun muss man mit Umfragen bekanntermaßen immer vorsichtig sein, Stimmungen und Tendenzen sind aber vor dieser Wahl relativ eindeutig. Das gilt vor allem für die SPD, deren Strategie aufzugehen scheint: Die Popularität von Olaf Scholz könnte dazu führen, dass die Sozialdemokraten Hamburg noch einmal allein regieren dürfen. Das komplizierte Wahlrecht, bei dem jeder zehn Stimmen hat, die er auf unterschiedliche Parteien oder Personen verteilen darf, nutzt nämlich vor allem dem Bürgermeister. Scholz hat die höchste Bekanntheit und den besten Platz auf den Stimmzetteln – es ist nicht auszuschließen, dass er als Einzelperson mehr Stimmen erhält als der Rest seiner Partei zusammen.

Schon bei der Wahl vor vier Jahren wäre der spätere Bürgermeister, für sich genommen, auf 18,4 Prozent gekommen. Soll heißen: Scholz allein war stärker als die Grünen und fast so stark wie die CDU. Damals haftete dem späteren Bürgermeister aber noch der Ruf des langweiligen „Scholzomaten“ an, damals konnten sich viele Hamburger nicht vorstellen, was er mit „ordentlich regieren“ meint. Das ist heute anders. Bei einer Direktwahl würden fast 70 Prozent Scholz wählen. Das klingt theoretisch, ist es aber angesichts des personalisierten Wahlrechts gar nicht.

So gesehen, stehen sich am Sonntag gar nicht Parteien gegenüber. In Wahrheit heißt das Duell: Olaf Scholz gegen den Rest. Dazu passt ein Witz, den man sich in konservativen Hamburger Kreisen erzählt. Sagt ein Unternehmer zum anderen: „Ich habe noch nie SPD gewählt, und ich werde es auch diesmal nicht tun.“ Fragt der andere: „Wen wählst du denn dann am Sonntag?“ Grinst der erste: „Olaf Scholz.“

Die eigene Dominanz kann für den Bürgermeister, was die absolute Mehrheit angeht, aber auch gefährlich werden. Nämlich dann, wenn zu wenige Hamburger angesichts der scheinbar entschiedenen Wahl am Sonntag ihre Stimme nicht abgeben. Die Zahl der angeforderten Briefwahlunterlagen lässt den Schluss zu, dass die Wahlbeteiligung nicht über den mageren 57 Prozent von vor vier Jahren liegen wird.

Das würde den kleinen Parteien nutzen, allen voran der FDP, die anders als die AfD einen enormen Stimmungsaufschwung hinter sich hat. Im Dezember belächelten nahezu alle Experten die liberale Spitzenkandidatin Katja Suding noch, als sie davon sprach, dass ihre Partei im Februar eher bei acht als bei zwei Prozent sein würde. Heute ist es wahrscheinlicher, dass der FDP der Wiedereinzug in die Bürgerschaft gelingt, als dass die AfD dort zum ersten Mal aufschlägt. Von Aufbruch kann bei der Alternative für Deutschland keine Rede mehr sein, die Partei muss bis zuletzt um die fünf Prozent kämpfen – und ist dennoch ein entscheidender Faktor. Mit einer AfD im Parlament dürfte die SPD ihre absolute Mehrheit verlieren.

Dann zögen die Grünen nach einem ruhigen, Olaf Scholz zugewandten Wahlkampf und gut vier Jahren Pause wieder in die Regierung ein. In der Opposition wären neben den genannten Parteien die in Hamburg sehr stabilen Linken und die CDU, die auf ihr schlechtestes Ergebnis zutaumelt. Was einem für Dietrich Wersich leid tut, der ein sehr guter, vor allem aber ein mutiger Herausforderer ist – leider, aus seiner und der Unions-Sicht, zur falschen Zeit. 2011 hätte er ganz andere Chancen gehabt.

Der Autor ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts