Der EU-Kommissionspräsident knickt ein vor dem Griechen Tsipras – ein fatales Signal

Der amerikanische Industrielle Jean Paul Getty brachte es einst auf den Punkt: „Wenn du der Bank 100 Dollar schuldest, hast du ein Problem. Wenn du der Bank 100 Millionen Euro schuldest, dann hat die Bank ein Problem.“ Nun darf man bezweifeln, dass der griechische Linkspopulist Alexis Tsipras den Erzkapitalisten Getty zum Vorbild nimmt, doch verstanden hat er dessen Botschaft. Unser Problem ist längst euer Problem geworden, unsere Pleite käme auch euch teuer zu stehen, meint Tsipras. Im schlimmsten Fall befürchten Experten Verluste für den deutschen Steuerzahler von 80 Milliarden Euro – ein Schuldenschnitt könnte zwischen 25 und 40 Milliarden kosten. Die schwarze Null, über die sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bei einem Bundeshaushalt von 300 Milliarden Euro so gefreut hatte, dürfte in diesem Falle bald Momentaufnahme bleiben.

Schlimmer noch: Das neue griechische Selbstvertrauen könnte der Anfang vom Ende der Merkel-Strategie sein, die stets Solidarität an Solidität koppelte, also Finanzhilfen an Strukturreformen in den Schuldenländern. Die Chuzpe des griechischen Ministerpräsidenten zeigt bereits Wirkung. Bewusst sucht er Verbündete in Südeuropa, wo nur zu gern die eigenen Fehler der Vergangenheit anderen in die Schuhe geschoben werden – entweder der Troika aus Europäischer Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds und der EU-Kommission oder den Deutschen allein beziehungsweise gleich Angela Merkel. Tsipras’ Reise nach Brüssel, Rom und Paris zielt auf eine tektonische Verschiebung der EU-Politik. Er will Europa weiter spalten und Merkel isolieren. Und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dessen größte Fähigkeit stets der Erhalt der eigenen Macht war, schwenkt offenbar schon um. Erst in der vergangenen Woche hatten die Griechen verkündet, gegen alle Absprachen nicht mehr mit der Troika zusammenarbeiten zu wollen; am Montag wollte auch der Luxemburger nach einem undementierten „Handelsblatt“-Bericht die Dreier-Gruppe abschaffen.

Natürlich wird man mit den Griechen und ihrer demokratisch gewählten Regierung verhandeln müssen. Nicht jeder Widerstand gegen die Sparauflagen ist falsch, nicht jede Kritik an der Troika ungerecht. Tatsächlich wurde die Dreiergruppe in den betroffenen Staaten wie ein Besatzer wahrgenommen, was den Rückhalt für die Strukturreformen nicht eben vergrößert hat. In der Sache also könnte man dem Kommissionschef zustimmen. Der Zeitpunkt aber ist verheerend, er wirkt wie ein Einknicken Junckers, er macht Tsipras zum Star. Und er setzt ein fatales Signal: Vertragstreue lohnt nicht, Dreistigkeit gewinnt, Frechheit siegt. Ja, es kommt einem Aufruf zur Abkehr von der bisherigen Sparpolitik gleich. Warum sollen Regierungen etwa in Portugal oder Spanien den strengen Auflagen der Troika eigentlich noch folgen, wenn sie damit ihre Macht riskieren? Ja, sollten die Menschen in diesen Ländern nicht gleich ihre wortgewaltige populistische Opposition in die Präsidentenpaläste wählen? Welchen Fingerzeig gibt Juncker Staaten wie Slowenien oder die Slowakei, die noch immer niedrigere Durchschnittseinkommen als beispielsweise die Griechen haben, nun aber auch die Wahlversprechen von Alexis Tsipras mitfinanzieren sollen? Und wie findet Angela Merkel eigentlich Junckers Irrungen, wenige Tage vor einer Wahl, in der die CDU nervös auf die Euro-Kritiker der AfD schielt?

Bei allem Verständnis für die Zwänge der Realpolitik und die Nöte der Griechen hängt der Euro eben nicht nur an den Launen der bizarren Links-rechts-Regierung in Griechenland, sondern an der Zustimmung in allen 19 Ländern. Einem Kompromiss müssen am Ende alle zustimmen können – das sollte Jean-Claude Juncker nicht vergessen.