Zum 200. Todestag des Dichters Matthias Claudius. Kein Held, aber ein Vorbild

Matthias Claudius war Poet, abgebrochener Student, Banker, Journalist, Großfamilienvater und Aufklärer. Aber vor allem war der berühmte Wandsbeker ein Lebenskünstler. Er brachte Job, Familie und Passion unter einen Hut. Ganz entspannt. Der Fleißigste soll er nicht gewesen sein, aber ein liebevoller Vater. Tolerant, willensstark und kritisch. Einer, der Kurs halten konnte und sich von Schwierigkeiten oder Anfeindungen nicht aus der Bahn werfen ließ. Er ist also ein echtes Vorbild. Kein Held, der in unerreichbaren Sphären schwebte und Einseitigkeiten huldigte.

Man könnte ihn auch als verkrachte Existenz bezeichnen. Dann aber als eine, deren Leben gelang. Bis zu seinem 48. Lebensjahr musste Claudius warten, bis er die andauernd drohende Pleite nachhaltig abwenden konnte. Eine schwere Bürde angesichts seiner zwölf Kinder. Im dänischen Kronprinzen Friedrich fand er einen Mäzen, der ihn erst sponserte und dann als Revisor in einer Altonaer Bank unterbrachte, ohne dass Claudius dafür arbeiten musste. Immer wieder halfen ihm Freunde, zweimal zog er wieder bei den Eltern ein.

Der „Wandsbecker Bothe“ machte ihn und den Wandsbeker Marktflecken berühmt. Goethe, Klopstock, Lessing und Herder schrieben für ihn. Drei Seiten politische Nachrichten kombinierte der Bote mit einer Seite „gelehrter Sachen“, die damals nicht als harter Tobak, sondern als Erbaulichkeiten galten. Claudius, der Erfinder des Infotainments. Auch als aufrechter Kritiker seines eigenen Herausgebers Heinrich Carl von Schimmelmann trat er in Erscheinung. Das Gedicht „Der Schwarze in der Zuckerrohrplantage“ spielte offen auf die Geldquelle seines Chefs an, die Sklaverei. Aber der „Bothe“ trug sich nicht. Nach vier Jahren wurde er 1775 eingestellt.

Claudius hatte sich schon als Student nicht viel sagen lassen. Er hielt Kurs. Er wollte schreiben und tat es einfach. Obwohl er sich Theologie und Rechtswissenschaften widmen sollte. Nach drei Jahren Studium ging er 1762 mutmaßlich ohne Abschluss, hier streiten sich die Biografen, wieder zu Muttern ins vertraute Reinfeld. Weil er als Autor zu wenig verdiente. Erst 1764 versuchte er eine Anstellung als Sekretär beim Grafen Holstein in Kopenhagen. Er fand es öde. 1768 ging er nach Hamburg und schlug sich als Meldungsschreiber der „Hamburgischen-Adreß-Comtoir-Nachrichten“ durch. Börsen und Schiffe waren seine Themen. Aber er kam mit Herder und Lessing ins Gespräch. Ein schöner Lohn für ein Praktikantendasein.

1770 lernte er seine Rebekka kennen und heiratete die 17-Jährige 1772. Die Freunde waren entsetzt. Nicht weil die Frau so jung war, sondern weil Claudius keine Familie unterhalten konnte. Aber wie in einer Vorabend-Soap wurden sie trotzdem glücklich. Der Dichter pflegte ein inniges Verhältnis zu seinen Kindern und tobte beim Spielen gern durch den Garten. Und er pries, selbst nachhaltig versöhnt mit dem einfachen Leben, in Versen die Vorzüge schlichter und bezahlbarer Mahlzeiten, schreibt Claudius-Biograf Michael Pommerening. Gemüse statt Fleisch, sagt man heute.

Die Aufklärung sah Claudius kritisch. Sein Glaube beanspruchte mehr Platz, als die Rationalisten der Frühaufklärung und Schwärmer des Sturm und Drangs vorgesehen hatten. Auch mit Goethe und Schiller gab es Verwerfungen. Claudius’ Kritik am Werther und dessen Selbstmord infolge übergroßen Liebeskummers konnte der Meister aus Weimar nicht verknusen. Claudius hielt die Reaktion des Verschmähten für überzogen. Goethes Verachtung hielt er aus.

Auch Toleranz konnte Claudius praktisch leben. Der Lutheraner Claudius unterstützte seinen Freund Graf Stolberg auch nach dessen Konvertierung zum Katholizismus gegen Herder und andere Aufklärer, die mit ihm brachen. Auch Lebenskunst kommt von Können.

Der Autor ist Redakteur im Hamburg-Ressort des Abendblatts