Ein Jahr nach den Krawallen spielt innere Sicherheit kaum noch eine Rolle in Hamburg

Wer sich die politische Stimmung vor einem Jahr in Erinnerung ruft, muss sich fast die Augen reiben. Im Schanzenviertel war es damals zu den schwersten Krawallen seit vielen Jahren gekommen, mit einer großen Zahl von verletzten Demonstranten und Polizisten und mit mehr als 300 Ingewahrsam- und Festnahmen. Fast zwei Drittel der 7300 Demonstranten wurden als gewaltbereit eingestuft. Die Davidwache war Ziel von zwei Angriffen mit zum Teil schwerstverletzten Beamten. Der Verfassungsschutz warnte gar vor einem neuen Linksterrorismus. Und was ist davon heute übrig geblieben? Wenn man einmal von dem neuen Buttersäure- Angriff auf die Davidwache absieht – praktisch nichts.

Es war eine Melange aus drei großen Themen, die um die Jahreswende 2013/14 zu der aufgeheizten Stimmungslage geführt hatte: die Empörung über den strikten Umgang mit Flüchtlingen der Lampedusa-Gruppe (welche der Senat loswerden wollte), die Sorge über die Zukunft der Roten Flora (die der Senat erhalten wollte) und den anstehenden Abriss der Esso- Hochhäuser (für den der Bezirk Mitte zuständig war). Keines dieser Themen schafft es heute mehr, viele Menschen zu mobilisieren.

Das liegt zum einen an der Macht des Faktischen: Die Esso-Hochhäuser sind abgerissen. Sie taugen auch deshalb nicht mehr als Symbol, weil die „Recht auf Stadt“-Bewegung den Erhalt und die Sanierung des Gängeviertels auf der Habenseite verbuchen konnte. Zudem ist dem SPD-Senat in Sachen Wohnungsbau im Vergleich zu den Vorgängersenaten wenig vorzuwerfen. Auch hat dieser Senat das Problem rund um die Rote Flora zielstrebig abgeräumt. Der frühere Besitzer Klausmartin Kretschmer hatte – wohl in der Hoffnung auf einen hohen Verkaufspreis – mit seinen Räumungsund Umbauplänen immer wieder für Unfrieden gesorgt. Nachdem er auf das städtische Kaufangebot über 1,1 Millionen Euro nicht einging, wurde es ungemütlich. Die Stadt versuchte erst auf juristischem Weg, das Gebäude für 190.000 Euro zurückzuerhalten. Ob Zufall oder nicht: Kurz darauf stellte das Finanzamt Insolvenzantrag gegen Kretschmer, und die Stadt erhielt für 820.000 Euro den Zuschlag für die Flora.

Zunächst schien es, dass der strikte Kurs, den der Senat auch beim Umgang mit der Lampedusa-Gruppe pflegte, sich negativ auf den Zuspruch für die SPD auswirken würde. Der Zorn entstand bei manchen nicht zuletzt auch durch unsensibles Vorgehen. So ließ Innensenator Michael Neumann (SPD) die Polizei wenige Tage nach dem Tod von mehr als 360 Flüchtlingen im Mittelmeer Flüchtlinge auf St. Pauli kontrollieren. Doch schon im Februar 2014 wies eine Abendblatt-Umfrage erneut eine absolute Mehrheit für die SPD aus. Der Gefahr, dass die mächtigen Polizeigewerkschaften in dieser Zeit Stimmung gegen die Regierung machen würden, setzte sich der Senat nicht aus. Deren Forderungen nach Überstundenabbau und besserem Schutz für die Beamten erfüllte die SPD schnell und unkompliziert, indem sie zehn Millionen Euro extra für die Polizei aus dem Hut zauberte.

Doch die Erfahrung zeigt, dass man mit der Innenpolitik nur Wahlen verlieren, aber keinesfalls gewinnen kann. Derzeit jedenfalls spielt die innere Sicherheit keine große Rolle. Und die Umfragen deuten nun auf Rot-Grün. Zwar ist man in der Flüchtlingsfrage weit auseinander – die Grünen wünschen sich einen humanitäreren Angang beim Bleiberecht –, aber die wahren Knackpunkte liegen woanders: beim Verkehr, beim Klimaschutz, bei der Energiepolitik.

Ein Jahr nach den Schanzenkrawallen sind somit nur zwei Dinge festzuhalten: Die Solidarität der Hamburger mit Flüchtlingen ist nach wie vor groß. Und bislang hat es Pegida nicht geschafft, hier Fuß zu fassen.