Demokratie muss begeistern. Ein zusätzlicher Abstimmungstag wäre förderlich, reicht dafür allein aber nicht

Der 14. August 1949 war ein verregneter Sonntag. Deutschland lag in Trümmern. Nicht wenige Menschen hungerten. Viele waren ausgebombt, hatten ihre Heimat verloren, trauerten um Freunde und Verwandte. Ihre Zukunft war ungewiss. Und nun sollten sie den Bundestag wählen – jedenfalls im Westen Deutschlands. Die junge Demokratie startete an diesem Tag trotz aller Widrigkeiten mit einer Wahlbeteiligung von 78,5 Prozent.

Der 22. September 2013 war ein trockener, ein wenig kühler Sonntag. Deutschland ging es gut. Alle Prognosen sahen einen Wahlsieg der CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel voraus. So kam es auch – bei einer Wahlbeteiligung von nur 71,5 Prozent. Es war die zweitniedrigste seit 1949.

Es geht schon seit Langem bergab. Gerade die jungen Leute gehen immer seltener zur Wahl, gerade in den östlichen Bundesländern werden Wahltermine zunehmend ignoriert. Die Politik hat sich darüber beklagt – und mit Wahlaufrufen reagiert, in denen etwas unangenehm Pflichtbewusstes mitklang. War da jemand wirklich begeistert? Oder war er doch nur hilflos?

Vier Fraktionen im Kieler Landtag wollen sich nun nicht mehr mit Appellen begnügen, sondern mal etwas anderes ausprobieren. Es wird höchste Zeit. Denn der Wahlakt strahlt mittlerweile eine gewisse Gestrigkeit aus. Immer noch dürfen wir ausschließlich sonntags wählen – als gäbe es an diesem Tag niemanden, der arbeiten müsste. Immer noch werden wir zur Stimmabgabe in die Stunden zwischen 8 und 18 Uhr gepfercht – als würde ganz Deutschland danach ohnehin ins Bett gehen müssen, um früh am Montag ausgeruht die Arbeit wieder aufnehmen zu können. Immer noch gilt unter Politikern und Politikwissenschaftlern die Briefwahl als Ausweis von Modernität – wo doch kaum einer mehr Briefe schreibt, sondern elektronische Mails.

Es ist leider so: Der Wahlakt transportiert ein Gesellschaftsmodell, das schon fast 100 Jahre alt ist.

Hier zu zeitgemäßen Regelungen zu kommen ist sicherlich hilfreich. Aber es wird nicht ausreichen. Demokratie wird als kompliziert empfunden, als zeitraubend und undurchsichtig. Demokratie muss deshalb erlernt werden. Die Schulen tun da zu wenig. Am Ende ihrer Schulzeit mögen die Jugendlichen gut ausgebildet sein. Gut ausgebildete Demokraten sind sie gewiss nicht. Was fehlt, ist der Praxisbezug. Der ist bei einem der beliebten Besuche im Bundestag oder im Landtag nicht zu bekommen. Eine Debatte über den Finanzausgleich oder übers Sozialgesetzbuch muss an den Jugendlichen vorbeigehen.

In den Kommunalparlamenten geht es hingegen um Dinge, die auch die Schüler interessieren könnten, die begreifbar sind, weil sie sich vor der eigenen Haustür abspielen. Aber welche Klasse war schon mal, begleitet vom und vorbereitet durch den Lehrer, in einer Gemeindevertretung, in einer Bezirksversammlung?

Auch die Parteien selbst müssen einiges tun. Ihren Protagonisten fehlt immer noch das Gespür dafür, wie deprimierend manche Verhaltensweisen sind. Ja, Streit ist wichtig, um Standpunkte klar herauszuarbeiten. Aber es gibt keine Notwendigkeit, den politischen Konkurrenten zu verhöhnen. Ist es so schwierig, diesen Moment zu erspüren und den letzten hässlichen Satz nicht zu sagen?

Demokratieförderung ist nichts, womit wir die Parteien allein lassen sollten. Jeder kann für eine höhere Wahlbeteiligung sorgen. Jeder kann ein paar Freunde dazu einladen, gemeinsam das Kommunalparlament zu besuchen. Zu sehen sind Menschen, die Demokratie machen. Vor unseren Augen entsteht sie – in Rede und Gegenrede, im Werben um Stimmen und Mehrheiten. Das kleine, faszinierende Demokratiekino. Eintritt frei.

Wir haben die Wahl – und wir sollten uns beteiligen.