Wo ist die Grenze, ab der Einkommensunterschiede unser Zusammenleben gefährden?

Dass der Wohlstand im Westen und Norden Hamburgs deutlich größer ist als im Osten und Süden der Hansestadt, erkennt jeder, der sich Zeit für einen Spaziergang durch die Viertel nimmt – wirklich überraschend ist die am Freitag veröffentlichte Lohn- und Einkommenssteuerstatistik also auf den ersten Blick nicht. Eine Stadt ist eben ein Gebilde, das sich über viele Jahrhunderte entwickelte. In den zum Teil ländlich geprägten Elbvororten beispielsweise haben sich bereits vor langer Zeit wohlhabende Hamburger niedergelassen oder dort ihre Landhäuser errichtet. Was die Einkommensstruktur angeht, hat sich daran bis heute wenig geändert. Das mag dem einen oder anderen missfallen. Es ist aber Ausdruck historischer Konstanz.

Andere Stadtviertel Hamburgs haben dagegen eine bewegte Geschichte hinter sich. Erinnert sei an das Kontorhausviertel oder die Speicherstadt, in denen früher unter ärmlichsten Bedingungen überwiegend Menschen lebten, die im Hafen Lohn und Brot fanden. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden Ende des vorvergangenen Jahrhunderts Zigtausende Bewohner zwangsumgesiedelt. Auch wenn derartige Senatsentscheidungen heute undenkbar sind, zeigt das doch den Wandel der Stadt.

Lässt man allerdings bei der Betrachtung der Statistik den Ortsbezug außer Acht, so beschreiben sie die Verteilungsungerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Man muss nicht – wie die Linke – gleich von einem dramatischen Armutsrisiko sprechen. So gehen in die Steuerstatistik die staatlichen Transferleistungen nicht ein, und diese sind erheblich.

Aber dass immerhin fast zwei Drittel der Hamburger Steuerpflichtigen über weniger Einkommen verfügen als der rechnerische Durchschnitt, das muss zu denken geben. In letzter Instanz geht es um die Frage, wie wir in dieser Stadt zusammenleben wollen. Darum, ob wir uns damit abfinden wollen, dass wenige ganz viel und viele ganz wenig haben.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht nicht um Gleichmacherei oder um ein Plädoyer gegen die Leistungsgesellschaft. Die Aussicht auf wirtschaftlichen Wohlstand ist vielmehr eine unverzichtbare Antriebskraft. Wer etwas leistet, der soll sich etwas leisten können. Zu hohe und schwer vermittelbare Unterschiede bei den Einkommen aber bedrohen gerade diese Antriebskraft und damit unser gesellschaftliches Zusammenleben in seinem Kern. Die Konzentration des Reichtums einer Gemeinschaft in ganz wenigen Händen unterhöhlt unseren „Gesellschaftsvertrag“. Sie wirft Fragen nach Gerechtigkeit und Fairness auf. Sie zerstört das Lebenselixier einer aufgeklärten Gesellschaft: beim Streben nach dem eigenen Wohlstand das Wohlergehen des Nachbarn, des Mitstreiters nicht zu vergessen.

Aus der Steuerstatistik lassen sich Fragen ableiten. Was kann Politik beispielsweise tun, damit auch ein Normalverdiener über die Jahre seines Arbeitslebens hinweg Vermögen bilden kann? Wo sind die Steuervorteile für den Bau eines Eigenheimes geblieben? Erleichtert der Staat ausreichend die Altersvorsorge des einfachen Arbeitnehmers?

Stadtplaner können aus der Statistik die Frage ableiten, wie gute Wohnbedingungen in allen Stadtteilen geschaffen werden können. Muss das nicht auch heißen, dass in sozial schwierigen Vierteln der Bau teurerer Wohnungen gefördert wird, um eine gute Durchmischung zu erreichen?

Natürlich werfen die Einkommensunterschiede auch die Frage auf, ob eine – vielleicht auch nur zeitweise erhobene – Vermögenssteuer ein Weg sein könnte, den Reichtum unserer Gesellschaft breiter und gerechter zu verteilen. An jeden Einzelnen von uns richtet sich die Frage: Wie groß darf der Unterschied sein, damit er unseren Zusammenhalt nicht auf Dauer beschädigt?