Der Westen wird den neuen türkischen Präsidenten dennoch weiter unterstützen.

Manch Westeuropäer fragt sich, warum die Italiener immer wieder dem schillernden Silvio Berlusconi ihre Stimme gaben, die Russen den Kraftmeier Wladimir Putin verehren – oder die Türken nun ihren bisherigen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zum Präsidenten gewählt haben. Wo der doch in der letzten Zeit mehr durch Skandale und einen Abbau demokratischer Rechte auffiel als durch kluge Regierungsführung – nach westlichen Maßstäben gesehen.

Aber die haben eben nicht für alle Menschen auf der Welt den gleichen Stellenwert. Italiener mochten auch die Schlitzohrigkeit ihres dauerregierenden Cavaliere, vielen Russen ist das Gefühl, wieder etwas in der Welt zu gelten, wichtiger als demokratischer Fortschritt. Und vielen Türken ist ein starker Mann an der Spitze des Staates mehr Wert als fein austarierte Machtbalance, als raffinierte parlamentarische Debatten samt langwieriger Kompromisssuche.

Zudem darf nicht vergessen werden, dass die bisherige Ära Erdogan durchaus auch von wirtschaftlichen Erfolgen geprägt ist. Und davon, dass es keine politische Kraft gibt, die den durchaus vorhandenen Unmut bürgerlicher Mittelschichten in den Metropolen hätte wirkungsvoll kanalisieren können. Ähnlich wie in Russland gibt es auch in der Türkei eine Mehrheit, der die eigene Identität wichtiger ist als eine Angleichung an den Westen. Die ließ sich von Atatürk einst zwar per Dekret verordnen, fand aber nicht den Weg in die Herzen aller Türken. Die Hinhaltetaktik der EU in Sachen Beitritt des islamischen Landes dürfte die Begeisterung für den Westen ebenfalls nicht gestärkt haben.

Erdogan kann also nun mit einer satten Mehrheit im Rücken an sein Ziel gehen, seine persönliche Macht weiter zu stärken und die Türkei bis zum 100. Geburtstag der Republik im Jahr 2023 zu einer veritablen regionalen Macht auszubauen. Und der Westen wird seinen schwierigen Partner dabei unterstützen müssen – trotz aller Demokratiedefizite. Denn das Nato-Land ist ein Eckpfeiler der Stabilität in einer von Bürgerkriegen erschütterten Region. Und dank der Pläne für weitere Pipelines aus dem Kaspischen Becken oder sogar aus dem Iran wird es zum noch wichtigeren Energietransitland für Europa.