Doch hier geht es nicht um Heidi Klums Next Topmodel, sondern um die Steigerung der Adjektive – die man aber nicht überdrehen darf

Im Dorf ist Vogelschießen. So wird in Stormarn das Kinderfest genannt, das im Sommer nicht nur in jeder Gemeinde, sondern sogar in jedem Ortsteil veranstaltet wird, selbst wenn das Dorf gar keine eigene Schule mehr besitzt. Die Frauen des Häkelbüdelclubs backen Kuchen, die Väter blasen eine Hüpfburg auf, die Kinder werfen oder kegeln ihre Könige aus, und als Höhepunkt werden die jungen Majestäten, geschmückt mit Schärpen in den Schleswig-Holstein-Farben Blau-Weiß-Rot, in Ponykutschen entlang des Redders und der Twiete gefahren. Das Wichtigste jedoch: Die Mädchen bekommen jeweils zum Fest ein neues Kleid aus dem Kaufhaus in der Kreisstadt.

„Hast du aber ein schönes Kleid an“, sagt die Nachbarin zur kleinen Ina. „Mein Kleid ist viel schöner!“, protestiert Elisa. Darauf Svenja, den Tränen nahe: „Mein Kleid ist am schönsten!“ Nun wollen wir nicht die Entwicklung zum Next Topmodel auf dem Dorf verfolgen, sondern das Fest verlassen und uns der Grammatik zuwenden.

Sie werden es bereits gemerkt haben: Hier geht es um die Steigerung der Adjektive, wenn die schönen Kleider immer schöner werden, bis sie am schönsten sind.

Die meisten Adjektive können Vergleichs- oder Steigerungsformen bilden. Bei Vergleichen im Positiv (Grundstufe, schön) steht so – wie, im Komparativ (Höherstufe, schöner) als (bitte nicht „wie“!), und der Superlativ (Höchststufe, am schönsten) wird mit am gebildet: Das eine Kleid ist so schön wie das andere. Das blaue Kleid ist schöner als das rote. Das Trägerkleid ist am schönsten. Der Superlativ kann auch ohne einen direkten Vergleich den höchsten Grad ausdrücken. Dann sprechen wir allerdings nicht von einem Superlativ, sondern von einem Elativ: Der Schüler hatte nicht die geringste Ahnung. Bei einigen Adjektiven treffen wir auf unregelmäßige Steigerungsformen, wobei der Wortstamm durch ein anderes Wort ersetzt wird, zum Beispiel bei gut – besser – am besten oder viel – mehr – am meisten.

Es gibt Adjektive, die lassen sich überhaupt nicht steigern. Dazu gehören die „absoluten“ Adjektive blind, tot, kinderlos. „Toter“ als tot kann niemand sein, und bei einem Kinderlosen ergibt es keinen Sinn, eine imaginäre Kinderschar hochzuzählen. Auch Adjektive, die bereits den höchsten Grad ausdrücken, dürfen nicht überdreht werden: absolut, optimal. Eine optimale Lösung lässt sich nicht verbessern, eine „optimalere“ oder gar eine „optimalste“ Lösung ist zu viel des Guten. Formadjektive sollte man belassen, wie sie sind, etwa dreieckig oder rund. Wer aus einem Dreieck ein Viereck macht, befindet sich entweder in einer dieser langweiligen Fernsehshows oder hat die Aufgabenstellung bei der Mathearbeit nicht kapiert.

Beziehungsadjektive wie dortig und jetzig darf man ebenfalls nicht steigern. Wir sprechen von einem dortigen Haus, nicht von einem „dortigeren“ Haus. Schließlich haben wir noch die Zahladjektive drei, halb oder einzig. Es heißt das Einzige, nicht etwa das „Einzigste“.

Etwas komplizierter geht es bei zusammengesetzten Adjektiven zu. Nur vorn gesteigert wird hochgestellt – höhergestellt – höchstgestellt. Das funktioniert jedoch nicht bei hochmütig, das hinten gesteigert wird – nicht „höhermütig“, sondern hochmütiger. Das Gleiche gilt für altmodisch, dichtmaschig, gutmütig, hochtrabend und vielversprechend. Das Adjektiv geringwertig ist recht flexibel. Es kann vorne oder hinten gesteigert werden: geringerwertig oder geringwertiger. Manchmal ergeben sich, vorn oder hinten gesteigert, verschiedene Bedeutungen. Höher fliegend sind die Vögel, hochfliegender sind ab und zu die Gedanken.

Vorne und hinten darf jedoch niemals gleichzeitig gesteigert werden! Wenn aus einem gutangezogenen Mädchen beim Vogelschießen das „bestangezogenste“ Mädchen wird, so ist das schlechterdings falsch! Es handelt sich zwar um einen vielgehörten Fehler, der aber selbst während eines Dorffestes nicht zu einem „meistgehörtesten“ Fehler werden darf.

Dies war übrigens die 100. Folge meiner „Deutschstunde“. Ich danke Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dass Sie während einer so langen Zeit meinen Plaudereien über die deutsche Sprache treu geblieben sind.