Nicht dass Sie sich beim Backen vertun! Niemand soll beim Wiegen in Sicherheit gewiegt werden, selbst wenn sein Wort schwer wog

Eines der bekanntesten Filmzitate, und zwar das Schlusswort aus „Manche mögen’s heiß“, lautet „Nobody is perfect“, das wir für unsere Zwecke frei mit „Keine Tageszeitung ist fehlerfrei“ übersetzen könnten. Alle tatsächlichen und vermeintlichen Fehler der deutschen Medien (nicht nur die aus dem Abendblatt) scheinen sich seit einiger Zeit in meinem Postfach zu sammeln. Auf diese Weise wird es mir als Ruheständler auf dem Dorf wenigstens nicht langweilig, mag auch der Garten verwildern und nach Mitternacht der Sieg Costa Ricas über Griechenland aus Erschöpfung verschlafen werden.

Allerdings bitte ich, angebliche Grammatik- und Aussprachefehler in der „Tagesschau“ direkt mit Jan Hofer zu klären. Und gleich noch eine Bitte: Es wäre schön, wenn Sie Ihre Anmerkungen und Fragen per E-Mail (siehe unten) senden könnten. Eine Korrespondenz per gelber Post überfordert mich angesichts der Umstände. Deshalb werde ich auch eine 40-seitige, mit der Hand in Sütterlin geschriebene Abhandlung über die deutsche Sprache unbeantwortet ablegen müssen.

Soeben erreicht mich die Mail einer Leserin, die den Satz gefunden hat: Ein Autofahrer „wog“ sich in Sicherheit. Sie meint, es müsse wiegte heißen, obwohl man auf der A 7 ohnehin nirgends in Sicherheit, sondern überall im Stau sei. Recht hat sie: wiegen1 und wiegen2 ist nicht dasselbe. Es handelt sich vielmehr um zwei homonyme Verben, die zwar gleich geschrieben werden, aber eine unterschiedliche Bedeutung haben. Da gibt es zum Ersten das starke Verb wiegen, wog, gewogen in der Bedeutung „das Gewicht einer Sache bestimmen; ein bestimmtes Gewicht haben“: Er wog doppelt so viel wie ich; die Schulkinder wurden alle gewogen; sein Wort wog schwer.

Anders müssen wir das schwache Verb wiegen, wiegte, gewiegt sehen, das die Tätigkeit ausdrückt, mit der etwas in schaukelnde Bewegung versetzt wird. Das zugehörige Substantiv lautet die Wiege, in der ein Säugling (wie ich an meiner gerade geborenen Enkelin Elisa beobachten kann) meist sofort das Brüllen einstellt, sobald er hin- und hergeschaukelt, also gewiegt, wird. Wenn der Großvater dazu sein unrasiertes Antlitz über der Wiege wiegt, gefährdet er eher die Aktion und kann das Brüllen leicht wieder in Gang setzen. Nun stellt sich die Frage, warum sich der Autofahrer korrekterweise in Sicherheit wiegte und nicht „wog“. Unter Umständen müssen wir die Eselsbrücke in Anspruch nehmen, nach der eine Sicherheit nie sicher sein und nicht auf der Waage gewogen werden kann, sondern stets ein recht schaukelnder und damit gewiegter Zustand ist.

Das schwache Verb wiegen hat noch eine weitere Bedeutung, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt, nämlich die Zutaten beim Backen oder Kochen zerkleinern. Schnittlauch, Petersilie, Nüsse und Mandeln sind unter Umständen genau (ab)gewogen (haben ein bestimmtes Gewicht), sollten jedoch auf jeden Fall fein gewiegt (zerkleinert) sein. Die Fernsehköche, die zu jeder Tageszeit sämtliche Programme beherrschen, tackern mit dem Chefmesser so schnell den Schnittlauch zu Röllchen, dass der Monitor flackert, aber wir Laien nehmen besser ein Wiegemesser zu Hilfe, soll der Versuch – wie kürzlich bei mir – nicht blutig enden. Ein Wiegemesser hat seit Großmutters Zeiten die Form wie die Kufen einer Wiege, nur dass die Kufen scharf und geschliffen sind, mit denen die Zutaten durch das Hin- und Herschaukeln gewiegt werden.

Ein anderer Leser fragt nach der Pluralbildung bei Substantiven auf -el. Maskuline und neutrale Formen werden stark dekliniert, die deshalb im Nominativ Singular und Plural gleich lauten: der Hebel – die Hebel, der Spiegel – die Spiegel, das Schnitzel – die Schnitzel oder das Kürzel – die Kürzel. Feminina flektieren jedoch schwach und bekommen die Pluralendung -eln: die Zwiebel – die Zwiebeln, die Kartoffel – die Kartoffeln oder die Nudel – die Nudeln. Bekanntlich wird eine Regel erst „schön“ durch ihre Ausnahmen. So auch hier. Es gibt drei Wörter auf -el, die, obwohl sie Maskulina sind, ihren Plural auf -eln bilden: der Stachel – die Stacheln, der Muskel – die Muskeln und der Pantoffel – die Pantoffeln. Nobody is perfect, nicht einmal die Grammatik.

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Der Verfasser, 72, ist „Hamburgisch“- Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags