Von „über“ und „mehr als“. Beim Telefonieren am Steuer ist es im Übrigen ziemlich egal, welche Bedeutung das Verhältniswort hat

Das Kieler Kultusministerium verlangte 1961 als Voraussetzung für die Zulassung zum Abitur die Angabe eines nachvollziehbaren Berufswunsches von uns Oberprimanern. Ich gab „Journalist“ an. Das war seinerzeit so außergewöhnlich, dass der Ministerpräsident Kai-Uwe von Hassel mich nach Kiel einlud. Journalist sein bedeutete in meiner Vorstellung vor allem zu schreiben. Journalist sein erwies sich in der Realität – jedenfalls für mich – jedoch häufig als die Tätigkeit, das von anderen Geschriebene zu redigieren und zu korrigieren bzw. die verschiedenen Rechtschreib-Salti des Konzerns, dem diese Zeitung bis vor wenigen Wochen angehörte, zu begleiten. Es ist wie eine Erlösung, als Ruheständler das Schreiben und die deutsche Sprache in dieser Kolumne vereinen zu dürfen.

Als der damalige Chefredakteur Werner Titzrath mich 1979 überredet hatte, aus der Provinz zum Abendblatt zu wechseln, tat ich gut daran, die Setzerei im 3. Stock des Hochhauses an der Fuhlentwiete mit aller Vorsicht zu betreten. In der ersten Nacht bekam ich bereits einen schmerzhaften Schlag mit dem Lineal auf die Hand und die Ansage: „Bei uns fassen Redakteure kein Blei an!“ Bei Axel Springer gingen „Redakteure und andere Analphabeten“ auch nicht in die Hauskorrektur, in der rund 80 Angehörige der obersten Kaste der schwarzen Kunst saßen und nicht nur das Abendblatt, sondern auch den Bleisatz des „Spiegels“ korrigieren sollten. Es dauerte Monate, bis ich nach etlichen Disputationen über Orthografie und Typografie bis zum Schichtführer der Hauskorrektur vorgelassen wurde.

Aber das ist über 30 Jahre her – doch halt: „über“ 30 Jahre? Beim Abendblatt heiße es nicht „über 30 Jahre“, sondern mehr als 30 Jahre, wurde ich belehrt. Mein etwas vorlauter Einwand, dann dürften wir auch nicht schreiben, Hans-Ulrich Klose sei „auf“ dem Landesparteitag wiedergewählt worden, sondern richtigerweise während des Parteitags, wurde mit einem Blick bestraft, in dem sich die Einschätzung meiner kleinstädtischen Herkunft deutlich widerspiegelte. Jeder leistet sich halt seine eigenen Präpositionen – mögen sie auch noch so proprietär sein.

Daran musste ich denken, als ich eine Mail aus Halstenbek bekam. Bernhard K. beklagt das Verschwinden seiner „Lieblings-Präposition“ durch, zumal er im Abendblatt gelesen hat: Immer häufiger lassen sich Fahrer von ihrem Smartphone ablenken. Er schlägt vor: „Die Fahrer lassen sich durch ihr Smartphone vom Verkehr ablenken.“

Mit den Präpositionen (Verhältniswörtern) ist das so eine Sache. Sie bilden mit einem übergeordneten Substantiv oder Pronomen eine Präpositionalgruppe und bestimmen den Kasus des Substantivs oder Pronomens. Dank deiner Mithilfe – die „Mithilfe“ wird hier nur dank der den Genitiv fordernden Präposition „dank“ in den 2. Fall gezwungen. Die Präpositionen sind unveränderlich in ihrer Form, aber äußerst wechselwillig in ihrer Bedeutung.

Nehmen wir des Lesers Lieblings-Präposition durch, die zwar den Akkusativ fordert, aber durchaus unterschiedlich verstanden werden kann. Sie kann eine räumliche Angabe sein. Dann kennzeichnet sie entweder eine Bewegung, die auf der einen Seite in etwas hinein- und auf der anderen Seite wieder herausführt (durch die Tür gehen) oder eine Vorwärtsbewegung über eine längere Strecke (durch das Wasser waten). Sie kann zeitlich sein („während“): durch das ganze Leben – und sie kann modal (die Art und Weise bezeichnend) sein („mittels“): durch das Los entscheiden.

Erst in passivischen Sätzen stoßen wir auf die Bedeutung „von“: das Haus wurde durch Bomben zerstört. Autofahrer sollten sich überhaupt nicht am Steuer ablenken lassen – weder von ihrem noch durch ihr Smartphone.

„Von“ ist eine Präposition mit Dativ. So viel steht fest. Fest steht jedoch nicht die jeweilige Bedeutung, für die „Das große Wörterbuch der deutschen Sprache“ nicht weniger als 16 Unterschiede kennt. Im Übrigen handelt es sich bei dem im Beispiel angebotenen „vom“ um gar keine Präposition, sondern um die Verschmelzung von Präposition und Artikel („von dem“) wie auch bei am, beim, zum, ins oder zur. Solche Verschmelzungen werden immer in einem Wort geschrieben. Einer der schlimmsten Fehler wäre es, „für’s“ mit Apostroph zu schreiben.

Der Verfasser, 72, ist „Hamburgisch“-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags