Die Zersplitterung der Metropole in Gemeinden ist gefährlich. Gesamtstädtische Belange werden dann nicht mehr berücksichtigt.

Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt und der Hamburger Agrarwissenschaftler Manfred Brandt haben nicht nur den Nachnamen gemeinsam. Was die SPD-Ikone 1969 mit dem längst zum geflügelten Wort gewordenen Satz „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ zum Motto seiner Regierung ausgerufen hatte, das setzt der knorrige Mann aus Moorburg mit großer Beharrlichkeit Punkt für Punkt und sehr konkret seit Jahren um.

Manfred Brandt und seine Mitstreiter vom Verein Mehr Demokratie haben eine beeindruckende Leistungsbilanz vorzuweisen. Seit Ende der 90er-Jahre haben sie maßgeblich dafür gesorgt, dass sich Hamburg vom Schlusslicht in Sachen direkter Demokratie zu einem Vorreiter entwickelt hat. Volksbegehren und Volksentscheide sowie Bürgerbegehren und -entscheide in den Bezirken sind zu einem festen Bestandteil der demokratischen Kultur in der Stadt geworden.

Etwas durchwachsener fällt die Bilanz bei der Reform des Hamburger Wahlrechts aus, an dem Mehr Demokratie ebenfalls entscheidenden Anteil hat. Die Einführung von Wahlkreisen und die Möglichkeit, mehrere Stimmen auf einen Kandidaten zu konzentrieren oder auf mehrere zu verteilen, hat die Einflussmöglichkeiten der Bürger erhöht. Für die Zusammensetzung der Bürgerschaft hat die daraus erwachsende Personalisierung des Wahlkampfs durchaus positive Impulse gebracht. Und hoffentlich werden die Hamburger von Mal zu Mal immer besser lernen, mit dem von vielen als kompliziert empfundenen Wahlrecht umzugehen.

Ganz anders lautet jedoch das Fazit für die Bezirkswahlen, wie der jüngste Urnengang am 25. Mai deutlich gezeigt hat. Die weithin unbekannten Kandidaten haben kaum eine Chance zur Profilierung, und so werden Kreuze nach Alter, Beruf oder Wohnort-Stadtteil gesetzt. Richtig ärgerlich wird diese demokratische Spiegelfechterei, wenn man bedenkt, dass die Bezirksversammlungen kaum etwas eigenständig entscheiden können. So wird eine Wahl zur demokratischen Hülle ohne Inhalt.

Manfred Brandt und Mehr Demokratie wollen den Widerspruch nun dadurch auflösen, dass sie den Bezirken mehr Macht geben. In der Konsequenz läuft das auf die Schaffung eigenständiger Gemeinden hinaus und bedeutet das Aus für die Einheitsgemeinde Hamburg. Auf den ersten Blick hat die Überlegung sogar einiges für sich: Warum soll der Bezirk Wandsbek mit seinen gut 400.000 Einwohnern nicht so verwaltet werden wie die fast so große Stadt Bochum?

Der zweite Blick offenbart den gefährlichen Irrweg dieser Idee: Sie führt dazu, dass Wandsbek, Altona und alle anderen Gemeinden kommunale Steuern festsetzen und erheben sowie in Konkurrenz um die Ansiedlung von Unternehmen treten könnten, ohne dabei gesamtstädtische Belange berücksichtigen zu müssen. Und weiter: Ein Radweg droht an der nächsten Straßenecke zu enden, weil die Nachbargemeinde ihn nicht will oder nicht bezahlen kann. Eine einheitliche Schulplanung? Wird sehr viel schwieriger, wenn jeder zunächst auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Kurz und gut: Die Einheitsgemeinde mit ihrer notwendig zentralistischen Perspektive ist Teil des Erfolgs dieser Stadt, war ein Garant der Entwicklung ihres Wohlstands in den zurückliegenden Jahrzehnten und gerade kein Hemmschuh. Statt dieses Axiom bürgerlichen Zusammenlebens in einer Metropole infrage zu stellen, sollte endlich geschehen, was seit Jahrzehnten unterblieben ist: eine klare Trennung der Kompetenzen von Stadtstaat, also Landesebene, und den Bezirken. So ist es etwa durchaus sinnvoll, wenn die Bezirke abschließend entscheiden dürfen, wo eine Tempo-30-Zone eingerichtet wird. Das ist nicht das ganz große Rad, kann aber für mehr Bürgernähe vor Ort sorgen.