Auch in der Grammatik besitzt jede Form das Recht, gleich behandelt zu werden. Doch leider hat hier die Satire ein wenig „gewunken“

„Als Elisa ging, hat sie mir zum Abschied zugewunken“, schrieb Fritzchen in einem Aufsatz über seine Erlebnisse während der großen Ferien, und der Schmerz über die Vergänglichkeit einer ersten, vollkommen harmlosen Kinderliebe ließ dem Zehnjährigen nicht nur die Augen feucht werden, sondern ihn auch zu einer vermeintlich hochsprachlichen und „erwachsenen“ Grammatik greifen. Er griff daneben, das Verb lautet winken, winkte, gewinkt (bestimmt!) und nicht „winken, wank, gewunken“. Gewisse Formen, die zur Qualität unserer Muttersprache beitragen, sollten wir nicht der Quantität des falschen Gebrauchs opfern – selbst wenn sogar der Duden in letzter Zeit an dieser Stelle wankte.

Die Konjugation (Beugung) der deutschen Verben ist nicht einfach. Ein bekannter Schriftsteller drückte das einmal so aus: „Wenn der literarisch gebildete Deutsche sich in einen Satz stürzt, sieht man nichts mehr von ihm, bis er auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans mit dem Verb zwischen den Zähnen wieder auftaucht.“ Das Zitat stammt von dem amerikanischen Autor Mark Twain (1835–1910), der so unsterbliche Figuren wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn erschaffen hat. Mark Twain, der in seiner Jugend Deutsch gelernt hatte, reiste 1878 durch Europa und verfasste für seinen Reisebericht ein ebenso amüsantes wie treffsicheres Kapitel mit dem Titel „Die schreckliche deutsche Sprache“.

Deutsche Verben erscheinen entweder schwach (kochen, kochte, gekocht) oder stark (finden, fand, gefunden), abgesehen von einigen Mischformen, die beides bzw. nichts von beidem sind. Diese Zwitter (denken, dachte, gedacht) haben quasi einen grammatischen Gen-Defekt. Bei den schwachen Verben bleibt der Stammvokal stets gleich. Das Präteritum (Vergangenheitsform) wird mit -t- zwischen dem Stamm und den Endungen gebildet, und das Partizip II bekommt die Vorsilbe ge- sowie die Endung -t: sagen, sag-t-e, ge-sag-t. Bei den starken Verben verändert sich der Stammvokal im Präteritum und teilweise auch im Partizip. Er „lautet ab“. Hier wird das Partizip II zwar auch mit der Vorsilbe ge-, allerdings mit der Endung -en gebildet: finden, fand, ge-fund-en. Außerdem müssen wir bei den starken Verben neben dem Ablaut noch auf den Umlaut und auf den e/i-Wechsel achten. Haben wir es mit den Stammvokalen a, au oder o im Infinitiv (in der Grundform) zu tun, so wird die 2. und 3. Person Singular Präsens meistens umgelautet: tragen, du trägst/ laufen, er läuft/ stoßen, du stößt. Damit nicht genug! Ist der Stammvokal ein e, wird das e an den genannten Stellen meistens zum i gemacht: geben, du gibst/ nehmen, er nimmt. Dieser e/i-Wechsel tritt entsprechend auch im Imperativ (in der Befehlsform) auf, dort aber nur im Singular (!): gib, nimm, aber: gebt, nehmt. Wenn Ihr Gesprächspartner sagt: „Geb mir eine Stunde Zeit“ oder: „Nimmt alle noch einen Keks“, so dürfen Sie getrost davon ausgehen, dass er den schwarzen Gürtel der Grammatik nicht besitzt. An dieser Stelle der immer wieder nützliche Hinweis: An eine Imperativform wird nie (!) ein Apostroph angehängt.

Von dem Verb hängen gibt es sowohl eine starke (hing) als auch eine schwache Variante (hängte), die nicht durcheinandergebracht werden dürfen: Sie hängte das Bild an die Wand, das dann neben der Skulptur hing, an der sie stets gehangen hat.

Schwache Verben sind irgendwie langweiliger, weniger vokal- und farbenfroh, eben schwach, um nicht zu sagen: benachteiligt. In einer Gesellschaft der totalen Inklusion, in der Damen Bärte tragen und alle gleichwertig sein sollen, dürfen auch schwache Verben nicht diskriminiert werden. Deshalb widmet sich eine Gesellschaft zur Stärkung der schwachen Verben ihrer Gleichstellung bei der Konjugation. Warum heißt es: Ich sterbe, ich starb, ich bin gestorben, aber nicht ich erbe, ich arb, ich habe georben, wird gefragt. Aus dieser Werkstatt stammen dann Formen wie „winken, wank, gewunken“ oder „welken, walk, gewolken“. Auf diese Weise wird mit Ironie, Satire und tieferer Bedeutung der verbissen vorgetragene Versuch demaskiert, gesellschaftliche Ziele auf die Sprache zu übertragen. Hoffentlich erkennt das jeder.