Geht doch mal an den Hafenrand und stellt euch ein 91 Meter hohes Monstrum im Alten Elbpark vor. Wer guckt dann noch auf den Michel?

Wer hoch hinaus will, muss unten anfangen, lautet eine Weisheit des Zen-Buddhismus. Ich wünschte, das würden ein paar mehr von jenen ernst nehmen, die sich jetzt für eine Seilbahn über die Elbe einsetzen. Denn würde sie gebaut, müssten wir mindestens ein Jahrzehnt lang damit leben. Und ich wette schon jetzt, dass dann viele sagen werden: Huch, so hatten wir uns das aber nicht vorgestellt.

Jeder, der am Hafenrand schon mal die „Queen Mary“ oder andere Riesen-Kreuzfahrtschiffe beim Ein- und Auslaufen gesehen hat, weiß: Sie überragen sogar noch die Häuser auf der Geesthöhe von Neustadt und St. Pauli. Eine Seilbahn, die an der Glacischaussee startet, muss also sehr schnell sehr hoch hinaufführen, damit ihre Gondeln nicht in die Oberdecks brettern. Das ist nur möglich mit einem Stütz-Pylon, der laut Betreiber 91 Meter hoch ist, im Alten Elbpark verankert werden soll und dort eine Höhe von 104 Meter über NN erreichen würde. Die Trasse zum Musicalzelt auf der anderen Elbseite würde über den Stintfang laufen. Ich empfehle jedem, der eine der Pro- oder Kontra-Petitionen unterschreiben will, sich das vor Ort anzusehen und die Folgen vorzustellen.

Nein, ich gehöre nicht zu den Meckerköppen, für die sich eine Stadt nie, nie, niemals verändern darf. Gerade das Elbufer hat sich im vergangenen Jahrhundert radikal gewandelt. Schon seit dem neumodernen Bauboom der 60er wurden die Gebäude immer höher: 1961 entstanden die Esso-Häuser am Spielbudenplatz, 1971 das Niebuhr-Hochhaus am Nobistor (57 Meter Höhe, Spitzname „Nuttenspeicher“). 1987 baute Willy Bartels sein Hotel Hafen Hamburg (62 Meter) über den Landungsbrücken aus. Bartels’ letzter Coup war 2007 das Empire Riverside Hotel (73 Meter). Im gleichen Jahr entstand dort auch das Atlantic-Haus (88 Meter), 2012 die Tanzenden Türme (110 Meter) an der Reeperbahn.

Aber: Bezugspunkt für die Hamburger Skyline am Hafen war seit 1786 immer der Michel, dessen Turmspitze mit 152,73 Metern über NN alles andere überragt. Daran änderte sich auch nichts, als 1906 der steinerne Bismarck im Alten Elbpark eingeweiht wurde (32 Meter mit Sockel, Scheitel 63,3 Meter über NN). Sehr groß ist die Wiese neben dem Bismarck nicht. Neben dem Pylon würde Bismarck zum Zwerg und der Park mit dem schönen Elbblick zur reinen Hundewiese. Ich sage nur: Fallwinde. Möchte man dort ein Buch lesen oder picknicken, wenn die Tupperdose wegweht?

Und worauf gucken dann die Touristen, die auf der Elbe nach Hamburg kommen und dabei filmen und fotografieren wie verrückt? Der Pylon wäre zwar nicht höher als der Michel, aber höher als die Hotels und die Tanzenden Türme und damit klar ein Bruch in der Stadtsilhouette.

In einem Tal der Hochalpen, das vom Skitourismus lebt, kann man so etwas vertreten. Aber wozu haben wir in Hamburg eigentlich „Leitsätze für die bauliche Gestaltung der Innenstadt“? Die schreiben vor, dass Neubauten und Aufstockungen „in ihrer Höhe der vorhandenen Umgebung angepasst“ sein müssen. Man will damit die stadtprägende Skyline der Kirchtürme doch gerade erhalten.

Und was kommt nun „unten“ dabei raus? Rechtfertigt der Zweck alle diese Veränderungen? Die Initiatoren der Seilbahn reden sich (und uns) die Konsequenzen ein bisschen zu schön, finde ich. „Attraktives, umweltfreundliches Verkehrsmittel“, „Sprung über die Elbe“, „Touristischer Standort Hamburg“ – kein Stichwort aus dem Stadtmarketing-Deutsch wird ausgelassen. Das „Verkehrsmittel“ dient allein dem Transport zum Musicalzelt, nicht aber dem „Sprung über die Elbe“, der doch Wilhelmsburg anbinden soll. Das sollte Ex-Senatorin Herlind Gundelach als Vorsitzende des Bürgervereins Wilhelmsburg eigentlich wissen. Bei knapp zwölf Millionen Hamburg-Besuchern muss sich Ex-Tourismusverbandschef Thomas Magold auch keine Sorgen um den „Standort“ machen. Und wieso fordert Joachim Stratenschulte als Vorstand der Stiftung Rickmer Rickmers eine Seilbahn, wo man doch in Hamburg traditionsgemäß mit Schiffen wunderbar ans andere Ufer kommt?

Deshalb für mich bitte keine Seilbahn. Veränderung ja – aber mit Augenmaß und mentaler Bodenhaftung.

Irene Jung schreibt an dieser Stelle jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag