Was ist eine Dragqueen? Es gibt Anglizismen, die sollte man nicht übersetzen, und es gibt Anglizismen, die darf man nicht falsch übersetzen

Eine Wurst mit Bart hat am Sonnabend in Kopenhagen den Eurovision Song Contest gewonnen – diese Riesenveranstaltung, bei der es längst nicht mehr um die Musik, sondern um die Art der Darbietung geht. Die Polinnen präsentierten so viel nackten Busen, dass Deutschland gleich mal zehn Punkte vergab, die Griechen schienen aus einem Provinzzirkus zu kommen und die Franzosen reichlich bekifft zu sein. Und dann war da noch der Transvestit Tom Neuwirth, der für Österreich startete und als weibliche Kunstfigur Conchita Wurst gestylt war, und zwar mit Vollbart. Aus (fast) ganz Europa hagelte es Höchstbewertungen. Niemand wollte sich schließlich dem Verdacht aussetzen, einem antiquierten Frauenbild anzuhängen und nicht verstanden zu haben, dass es hier um eine „Befreiungshymne“, um das Eintreten für „Toleranz und Freiheit“ gehen sollte.

Ausgerechnet Österreich, das damit im nächsten Jahr Gastgeber sein wird! Was ist da zu erwarten? Sissi mit Bart und am Flügel Udo Jürgens, der 1966 den bis Sonnabend einzigen Sieg nach Wien geholt hatte, mit dem Chanson „Merci, merci, Conchita, für die bärtigen Stunden, Chérie“? Da ich fürchte, dass die ach so Toleranten nicht die Toleranz aufbringen werden, eine abweichende Meinung zu tolerieren, will ich an dieser Stelle die TV-Kritik abbrechen und mich wieder der Sprache zuwenden.

Ein homosexueller Mann, der in (meist) schrillen Frauenkleidern auftritt, wird eine Dragqueen (oder Drag Queen) genannt. In Hamburg kennen wir die weitgehend ästhetische Dragqueen Olivia Jones alias Oliver Knöbel. Die Travestie (die Darstellung einer Bühnenrolle durch Personen des anderen Geschlechts) kann eine ernsthafte Kunstform sein – oder eben eine Provokation. Der Ausdruck Dragqueen kommt vom engl. drag queen. Dabei hat queen in diesem Zusammenhang nichts mit der Queen im Buckingham-Palast zu tun, sondern bedeutet Schwuchtel oder Tunte. Engl. drag ist die Abkürzung für dressed like a girl und reicht bis ins Zeitalter Elizabeths der Ersten zurück. Damals durften Frauen nicht auf einer professionellen Bühne auftreten. Shakespeare musste seine Frauenrollen also mit Männern besetzen und schrieb an den entsprechenden Stellen die Abkürzung „drag“ an den Rand seiner Textbücher für „dressed like a girl = gekleidet wie ein Mädchen“. Wenn eine Frau in künstlerischer Art das Verhalten eines Mannes nachahmt, ist sie übrigens ein Dragking.

Es gibt Anglizismen, die man besser nicht ins Deutsche übersetzen sollte, vor allem nicht in Wien. Allerdings finden wir Missverständnisse im Deutschen, die wir Scheinanglizismen nennen. Das sind Begriffe, die zwar aus englischem Wortmaterial gebildet worden sind, die es im Englischen jedoch nicht oder so nicht gibt. Das bekannteste Beispiel ist das Handy, das im Englischen mobile phone heißt. Das Gleiche gilt für Smoking (engl. dinner jacket), Dressman (engl. male model) oder gar Bodybag (engl. für Leichensack). Besonders schön ist der Ausdruck Public Viewing, das „Rudelgucken“, zu dem Tausende im Freien zusammenkommen, um auf einer Großleinwand zu verfolgen, wie die deutsche Fußball-Nationalmannschaft mal wieder gegen Italien oder Spanien verliert. Im amerikanischen Englisch versteht man unter Public Viewing allerdings die öffentliche Aufbahrung eines Toten.

Es existieren Entlehnungen aus dem Englischen, die alte deutsche Wörter verdrängt haben, etwa Baby (für Säugling), Hobby (Steckenpferd), Pony (Kleinpferd) oder Party (zwangloses Fest). Diese Lehnwörter haben die deutsche Flexion angenommen. Es heißt also die Babys, die Hobbys, die Ponys und die Partys. Wenn uns Das Erste im Fernsehen die Sendung „Zoo-Babies“ anbietet, frage ich mich, ob bei der ARD das Ypsilon auf der Tastatur verloren gegangen ist.

Bei einigen sprachlichen Wendungen ist der Migrationshintergrund gar nicht mehr zu erkennen. „Das macht keinen Sinn“ (engl. makes no sense) hat die ursprüngliche Wendung „… ergibt keinen Sinn“ fast völlig ersetzt. Das sollten wir akzeptieren, obwohl einige Leser an dieser Stelle immer wieder nachzuhaken pflegen. Übrigens stammen nur vier Prozent aller gängigen deutschen Wörter aus dem Englischen. Das müsste zu ertragen sein.